Das jüdische Worms hatte seinen Ruf vor allem ihm zu verdanken: Rabbi Salomon ben Isaak, genannt Raschi. Bis heute ist der Talmudkommentator und Gelehrte in der jüdischen Welt hoch geschätzt. Um 1060 studierte er im damals in ganz Europa bekannten Lehrhaus in Worms. Das nach ihm benannte Raschi-Haus in Worms beherbergt das Jüdische Museum und das Stadtarchiv. Es befindet sich an der Stelle, an der einst das Lehrhaus gestanden haben soll: in der Hinteren Judengasse und in unmittelbarer Nähe zur Synagoge.
Raschis Lehrer waren Jakob ben Jakar aus Mainz und der Wormser Gelehrte Isaak ben Eleasar haLevi. 1065 kehrte Raschi nach Troyes zurück, wo er seinerseits ein Lehrhaus mit zahlreichen Schülern gründete.
Seine Kommentare zu Bibel und Talmud zeichnen sich durch Klarheit, Verständlichkeit und Bildhaftigkeit aus. Jede Ausgabe des babylonischen Talmud wird bis heute mit einem Kommentar Raschis gedruckt.
In Worms hat die nachhaltige Wirkung Raschis zur Legendenbildung geführt. Der Ruhm des jüdischen Worms geht wesentlich auf ihn zurück. Am 29. Tamuz 1105 (5. August) starb Raschi in Troyes.
Zum 900. Todestag von Raschi, im Raschijahr 2005, gedachten die Städte Worms und Troyes mit zahlreichen Veranstaltungen dem großen und bis heute hoch geschätzten Talmudgelehrten.
Als der wohl 1040 in Troyes geborene und aufgewachsene Salomo ben Isaak (Raschi) über Mainz nach Worms kam, um seine bereits begonnenen Studien hier fortzusetzen, hatte sich in der Stadt mit ihrer auch zahlenmäßig sehr beachtlichen, wohl bereits vielhundertköpfigen jüdischen Gemeinde die Blüte der Jeschiwa bemerkenswerte Ausmaße angenommen, eine rasch gewachsene Attraktivität, die uns durch die Namen und Herkunftsregionen der hier tätigen Gelehrten eindrucksvoll belegt wird. Im allgemeinen datiert die Forschung Raschis offenbar relativ kurzen, jedoch für die spätere Wahrnehmung folgenreichen Aufenthalt in der Stadt in den Jahren zwischen 1055 bis ca. 1065; die meisten Judaisten und Historiker haben sich für den Zeitraum von ca. 1060 bis 1064/65 ausgesprochen.
Wir wissen, dass Raschi unter anderem bei den bedeutenden Rabbinern Jakob ben Jakar aus Mainz, der auch in Worms lehrte zum einen und bei Isaak ben Eleasar ha-Levi, dem 1070 gestorbenen Leiter der Wormser talmudischen Schule zum anderen gelernt hat. Dass letzterer wiederum seine wissenschaftliche Bildung in Mainz erhalten hatte, ist ein Zeugnis für die sehr engen personellen Kontakte beider Gemeinden und beider Gelehrtenkreise untereinander, ohne die Raschis Aufenthalt in beiden Städten nicht verstanden werden kann. Auch über den dem Wormser wohl vorausgehenden Mainzer Aufenthalt, der sich auffälligerweise in der dortigen Tradition weit weniger verfestigt hat als in Worms, lassen sich keine sicheren Aussagen treffen. Eine wichtige Rolle spielt hier sicher die in Worms ungebrochene Tradition jüdischen Gemeindelebens, dem ein gewaltsames Ende des mittelalterlichen jüdischen Mainz im 15. Jahrhundert gegenübersteht. Durch diesen Umstand blieb Raschis Aufenthalt mit Worms nicht mit Mainz verbunden.
Die herausragende Bedeutung der am Ende des 11. Jahrhunderts von jüdischer Seite geradezu mit Jerusalem gleichgesetzten, als "Tochter Zions" in höchstem Ansehen stehenden Gemeinde in Mainz für das aschkenasische Judentum steht außer Frage. Raschi erwarb somit gerade in den rheinischen Hochschulen das Rüstzeug für seine bahnbrechenden Auslegungen von Talmud und Bibel, die eine solch bemerkenswerte Ausstrahlung erreichen sollten. Von beachtlichem Quellenwert für die Zeit Raschis und hierbei die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen von Christen und Juden sind seine Responsen und halachischen Entscheidungen in Streitfragen des Alltags, der Wirtschaft und des Zusammenlebens in der Gemeinde und über sie hinaus. Diese Rechtsentscheide betreffen Fragen wie Geldhandel, Pfandleihe, Rechtsgeschäfte mit Immobilien, Speisegesetzgebung, Sklaven und Bedienstete, Zwangstaufen und so fort.
Belegt ist, dass Raschi auch nach seinem Weggang zurück nach Troyes in brieflichem Kontakt mit seinen Lehrern und anderen Gelehrten stand und so sicher auch über wichtige Vorgänge in der Entwicklung der Gemeinden und ihrer Talmudschulen informiert war; dies gilt sicher auch für die verheerenden Folgen der Pogrome von 1096.
Der Werdegang des später so bedeutenden Gelehrten belegt die engen Bindungen der aschkenasischen Gemeinden zwischen Champagne und Rheinland untereinander, ein Beziehungsnetz, das sich über den Bereich der Gelehrsamkeit auch auf Handel und Kommunikation ausgewirkt bzw. mit diesem in Verbindung gestanden hat. Bedauerlich ist, dass sich über die Umstände des Aufenthalts Raschis am Rhein kaum gesicherte Aussagen treffen lassen. Da Raschi Kenntnisse der christlichen Bibelexegese besaß und ihm die lateinische Sprache nicht fremd war, liegen Kontakte und Beziehungen zu der in Worms zumindest in der Generation nach dem Tod Bischof Burchards 1025 noch in Blüte stehenden Domschule nahe. Sicher gab es Kontakte zwischen der aufstrebenden jüdischen Hochschule und dem Zentrum christlicher Gelehrsamkeit im Umfeld des Domes.
Die erläuternden Zusätze zu Texten aus Bibel und Talmud, die Raschi später verfasst hat, enthalten im übrigen die ältesten Zeugnisse für den aschkenasischen Sprachgebrauch, das Jiddische. Es spricht vieles dafür, dass bei den Wormser und Mainzer Juden als Umgangssprache bis in die nichtalltäglichen Bereiche hinein schon das Jiddische im Gebrauch war, das erstmals durch Raschi überliefert ist.
Wenige Jahre nach Raschis Rückkehr in seine Heimat in der Champagne ist der jüdische Friedhof in Worms erstmals bezeugt (Stein des Jakob ha-bachur, 1076/77) und steht am Beginn einer jahrhundertealten Tradition jüdischer Bestattungen an dieser Stelle außerhalb der Stadt.
Besonders wichtig für die jüdische Gemeinde in Worms wurde seit der Mitte des 11. Jahrhunderts das Verhältnis zum Königtum. Allein das Fehlen einer effektiven bischöflichen Herrschaft über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren während der Zeit des sogenannten Investiturstreits führte zu sehr engen Bindungen der an Worms ökonomisch-finanziell und politisch-strategisch höchst interessierten salischen Herrscher zu ‚ihren’ Wormser Juden. Seinen besonderen Ausdruck findet diese enge Bindung in dem wichtigen Diplom Heinrichs IV. aus dem Jahre 1090. Von den zahlreichen Bestimmungen der Urkunde für die dem Herrscher unterstellten Wormser Juden selbst seien hier nur die Erlaubnis zum Geldwechsel, die Besitzzusicherung (genannt werden Grundstücke, Weinberge, Gärten und die Verfügung über Dienstpersonal), die Bestätigung ihres Hausbesitzes an der Stadtmauer, das Verbot von Zwangstaufen sowie die von jüdischem Recht beeinflussten rechtlichen Bestimmungen in Erinnerung gebracht.
Unklar bleibt leider die so wichtige Gemeindestruktur. Ein Vorsteher der Gemeinde ist sicher anzunehmen, er wird hier als "deren Bischof" vorausgesetzt. Auf die Existenz eines ratsähnlichen Gremiums an der Gemeindespitze scheinen die hebräischen Quellen zur Kreuzzugsverfolgung von Mai 1096 zu verweisen, die für Worms die "Häupter der Gemeinde" nennen. Dem Herkommen entspricht die Wahl von Funktionsträgern innerhalb der Gemeinde, wie sie ausdrücklich erwähnt wird. Streitigkeiten unter den Juden sollen von ihnen selbst nach jüdischem Recht entschieden werden, die Gemeinde als religiös fundierter Verband ist somit seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar vorhanden.
So glänzend sich die Situation zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung für die Juden theoretisch und formal darstellt, so jäh ist die Katastrophe des Kreuzzugspogroms von 1096 gerade über die Wormser Gemeinde hereingebrochen. Auch die leidlich rasche Wiedergewinnung ökonomischer Bedeutung bereits im Laufe des frühen 12. Jahrhunderts kann die tiefgreifenden Folgen der schweren Pogrome auch im Selbstverständnis und der langfristigen Erinnerung der Gemeinde nicht überschatten.
Erstmals ist um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine Bezugnahme zwischen der Wormser Synagoge und dem Wirken Raschis postuliert worden. Der durch seine Schriften bedeutsame Wormser Schreiber und Synagogendiener Juspa Schammes (1604–1678) hat diese Zusammenhänge erstmals hergestellt. Vor allem sein sogenanntes "Minhagbuch" ist wegen der über die Beschreibung religiöser Riten und ihrer halachischen Begründung hinausgehenden chronikalischen Zusätze eine einmalige Quelle für jüdisches Leben im 17. Jahrhundert und das früheste Zeugnis für eine lokale Tradition für Raschis Wirken und Nachleben in Worms. Vor allem der nach einem Pogrom von 1615 im Jahre 1623 erbaute kapellenartige Anbau an die Synagoge, der für die kleine Jeschiwa ausreichend war, erhielt den Beinamen Raschi-Kapelle (Abbildung siehe links). Erstmals für das Jahr 1760 ist ein angeblicher Bezug zwischen der vermeintlichen Lehrtätigkeit Raschis (Raschi-Stuhl, Abbildung siehe oben) und dem Bau nachzuweisen.
Die Bezugnahme auf Baulichkeiten im Synagogenbezirk auf Raschi blieb insbesondere seit dem Erwachen eines historischen Bewusstseins der Gemeinde um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine lebendige, stets weiter angereicherte Tradition. Dies zeigt die stolze Inschrift über die erfolgte Renovierung der sogenannten "Kapelle" aus dem Jahre 1854. Eine wissenschaftliche Kontroverse um die Authentizität derartiger Überlieferungen erstreckte sich bis in die 1920er Jahre, wobei davon auszugehen ist, dass wir Raschis Lernort entweder in der ersten, hinsichtlich ihrer Lage nach 1945 teilweise durch Grabungen dokumentierten Synagoge selbst oder dem südlich angrenzenden Bau, dem heutigen Raschi-Haus, zu suchen haben.
Das 800jährige Todesjahr Raschis 1905 nahm die traditionsreiche israelitische Gemeinde zum Anlass für ein Preisausschreiben über die Frage: "Was bedeutet Raschi für seine Zeit, wie wirkte er in der Folge und von welchem Werte sind seine Schriften für die Jetztzeit?". Man beschloss die Veranlassung einer Schrift, „die das Leben und Wirken dieses hervorragenden Mannes in volkstümlicher Weise zur Darstellung bringen sollte“. Der verdiente Wormser Lehrer und Gelehrte Samson ROTHSCHILD verfasste für die "Allgemeine Zeitung des Judentums" im Jahre 1905 einen größeren Artikel, der die große Aufmerksamkeit für die Person und das Jubiläumsjahr in Worms bezeugt.
Um diese Zeit, genauer im Jahre 1907, gab die Stadt dem neu errichteten Tor im vormaligen Judenviertel den Namen Raschi-Tor (Abbildung siehe links), eine Bezeichnung, die auch nach 1933 nicht aufgehoben wurde. Schließlich bildete sich bereits in den 1960er Jahren der sogenannte "Raschi-Lehrhaus-Verein" mit dem Ziel der Errichtung eines Studien- und Lehrhauses zur Erinnerung an die während der NS-Zeit weitgehend zerstörte jüdische Tradition.
Das nach dem Abriss 1971 im Jahre 1982 als Stadtarchiv und Jüdisches Museum wieder errichtete Gebäude, vormals Lehr-, Tanz- und Hochzeitshaus, Spital und Altenheim der Gemeinde, erhielt demzufolge den Namen "Raschi-Haus". Eine Statue zu Ehren Raschis wurde Ende 1995 vor dem Portal der bis 1961 wieder aufgebauten Synagoge eingeweiht (Abbilung siehe links oben). Im Jahre 2005 wurde in zahlreichen Veranstaltungen in Worms, Troyes und anderswo des 900. Todestages Raschis gedacht.