Dreifaltigkeitskirche zwischen den Trümmern, nach 1945
Dreifaltigkeitskirche zwischen den Trümmern, nach 1945

Ausgebombt, evakuiert und der Familienvater vermisst

Norbert Falkenhage, ein "Wahlwormser", berichtet über die Erlebnisse seiner Verwandten in Mainz-Weisenau während der alliierten Bombenangriffe.

Dreifaltigkeitskirche zwischen den Trümmern, nach 1945
Dreifaltigkeitskirche zwischen den Trümmern, nach 1945
© Fotograf: Quelle:Stadtarchiv

Zwei Weltkriege erlebt

Unsere Cousine Hanna wohnte in den ersten Jahren des 2. Weltkrieges mit Eltern und 3 Geschwistern in der Turnhallenstraße in Weisenau. Während des Krieges musste ihr Vater, der schon den 1. Weltkrieg mitgemacht hatte, wieder zu den Soldaten.

Als im Sommer 1944 immer häufiger die Alarmsirenen heulten und die Bewohner oft in die Luftschutzkeller flüchten mussten, hatte ihre Mutter große Schwierigkeiten, den Kinderwagen über die Haustreppe auf die Straße zu bringen. Sie war dadurch so verängstigt, dass sie mit ihren Kindern in ein eingeschossiges Holzhaus in der Elisabethenstraße umzog, weil sie von dort nur einen kurzen Weg zu einem Luftschutzbunker im Garten ihrer Großmutter, der Frau S. in der Friedrichstraße hatte.

Ausgerechnet dieses Holzhaus wurde bei dem ersten, noch eher kleineren Luftangriff auf Weisenau am 19. Oktober 1944 getroffen und ist abgebrannt. Die Familie Adam G. hatte dadurch die gesamte Wohnungseinrichtung verloren und gehörte somit zu den ersten Weisenauer Bombenopfern.

Überlebende durchqueren die Trümmer von Worms, nach 1945
Überlebende durchqueren die Trümmer von Worms, nach 1945
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv Worms

Unterkunft in Notwohnung

In den folgenden Tagen bekam die Familie eine Notwohnung in der Weisenauer Mädchenschule, der Schmittschule in der Schulstraße zugewiesen. Die Wohnung war im obersten 5. Stockwerk und für die älteren Kinder war die neue Unterkunft zunächst sehr abenteuerlich. Die schöne Aussicht, eine neue Umgebung im Dachgeschoss mit Glockenturm und Uhrwerk.

Eine provisorische Wohnungseinrichtung war schnell zusammengesucht, denn in Weisenau hatte es bis dahin noch keine großen Zerstörungen gegeben. Allerdings über 40 Todesopfer im sogenannten Splittergraben. Der Familienvater, unser Onkel Adam, bekam sogar ein paar Tage Sonderurlaub von seiner Pioniereinheit in Schlesien, um beim Einzug in die neue Wohnung zu helfen.

Dann kam der 1. Februar 1945.

Nach dem Fliegeralarm am Abend dieses Tages hatten sich Hanna, ihre halbwüchsigen Schwestern und ihre verängstigte Mutter darüber gestritten, ob sie in den Luftschutzkeller gehen sollten.

Ihre Mutter ging dann mit dem kleinsten, dem dreijährigen Schorsch nach unten ins Kellergeschoss und Hanna blieb mit den 2 Schwestern in der Wohnung. Es war schon dunkel und bei einem Blick aus dem Fenster sahen sie auf einmal in Richtung Großberg die ersten Bomben explodieren.

Nun rannten sie aber in größter Panik das Treppenhaus hinunter um in den Luftschutzkeller zu gelangen. Als sie unten ankamen, war die eiserne Tür verschlossen und trotz heftigem Klopfen wurde sie auch nicht geöffnet. Noch andere Leute hatten sich vor der Tür eingefunden und ihnen allen blieb nur, sich auf den Boden zu kauern und zu hoffen, dass das Schulgebäude nicht getroffen würde.

Sie hatten Glück, vielleicht auch noch die Hosen voll. Das Schulgebäude blieb stehen. Nur Fensterscheiben und Türen waren zerstört. Die Notwohnung wurde dann nochmals notdürftig hergerichtet.
Bis dann bei dem großen Fliegerangriff am 27.2.1945 auch die Schmittschule ein Trümmerhaufen wurde.

Bei diesem Angriff hatte sich Hanna mit einer Freundin im Luftschutzkeller in der kleinen Hohlstraße in Sicherheit gebracht. Ihre Mutter war mit dem jüngsten ihrer Kinder im Hockkeller. Die Schwestern Käthi und Ria wurden auf dem Nachhauseweg vom Kinobesuch in Mainz vom Fliegeralarm überrascht. Sie erreichten erst unmittelbar nach dem schweren Angriff den Weisenauer Tanzplatz.

Fast alle Häuser um diesen Platz waren zerbombt oder brannten lichterloh.
Die Mädchen standen vermutlich unter Schock, als die 14-jährige Käthi in das brennende Haus vom Metzger Bechtel rannte und dort eine Schüssel mit Bratwürsten und einen Schinken entdeckte.

Die beiden versteckten die Beute unter ihren Wintermänteln und machten sich damit auf die Suche nach ihrer Mutter und den übrigen Geschwistern. Sie durften ihre Heldentat nicht an die große Glocke hängen. Manche Nachbarn und strenge NS-Gesetze hätten dies damals als Plünderung ausgelegt und sie wären streng bestraft worden. Da die Familie keine Möglichkeit hatte, die Würste selbst zu braten, musste mit anderen Weisenauern, die noch eine Bratpfanne und eine Feuerstelle besaßen, geteilt werden.

Onkel blieb im Krieg

Der Onkel Adam überlebte den Krieg nicht, er ist im Gebiet Oder und Neiße verschollen, vermutlich gefallen. Seine Familie ist im Frühjahr 1945 wie so viele ausgebombte Mainzer - und Weisenauer Familien aufs „Land“ evakuiert worden.


Sie wurden in einem Bauernhof in Pfaffen-Schwabenheim in der Nähe von Bad-Kreuznach einquartiert. Das heißt, die Bauern wurden damals gezwungen, Wohnraum für ausgebombte Familien zur Verfügung zu stellen. Nun hätte man denken können, dass die Städter bei den Bauern verpflegungsmäßig in den besten Händen waren. Tatsächlich war dies jedoch nicht der Fall! Die einzelnen Bauernhöfe bekamen teilweise drei und mehr Familien zugewiesen und diese bombengeschädigten Familien hatten meist alles verloren und deshalb kaum Tauschgegenstände, für die sie Lebensmittel bekommen hätten.

Die Bauern auf dem Land tauschten ihre Lebensmittel viel lieber gegen wertvolle oder nützliche Sachen, die ihnen von den „Hamsterern“ auf die Dörfer gebracht wurden. Das heißt, die Evakuierten saßen eigentlich an der „Quelle der Nahrungsmittel“, mussten aber trotzdem hungern, weil sie nicht genug Geld bzw. Tauschmittel in der Tasche hatten.

Das was sie aufgrund der Lebensmittelkarten kaufen konnten, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Dies war damals ein geläufiger Spruch.
Erst Monate später normalisierte sich die Situation, die evakuierten Städter konnten sich bei den Bauern nützlich machen und hatten dadurch auch mehr zu essen.

Worms, im Februar 2013
Norbert Falkenhage

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