Zerstörte Rheinbrücke bei Worms
Zerstörte Rheinbrücke bei Worms

Flucht in den Odenwald

Am 18. März 1945 sprengte die deutsche Wehrmacht die große Eisenbahnbrücke über den Rhein zwischen Mainz und Gustavsburg. Es geschah am hellichten Tag und am Bahnhof in Weisenau stand zur gleichen Zeit ein Personenzug, der auf das Abfahrtsignal in Richtung Worms wartete.

Zerstörte Eisenbahnbrücke bei Worms
Zerstörte Eisenbahnbrücke bei Worms
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv Worms

Den Bomben knapp entkommen

Am 18. März 1945 sprengte die deutsche Wehrmacht die große Eisenbahnbrücke über den Rhein zwischen Mainz und Gustavsburg. Es geschah am helllichten Tag und am Bahnhof in Weisenau stand zur gleichen Zeit ein Personenzug, der auf das Abfahrtsignal in Richtung Worms wartete.

In einem der Personenwaggons saßen mein Onkel Karl, Tante Sefa und meine Cousine Rita. Als die erste Detonation erfolgte, schauten die Zugpassagiere aus den Fenstern auf der Rheinseite, um zu sehen, was da passierte. Was sie dann sahen, ließ ihnen den Atem stocken. In schneller Folge detonierten Sprengladungen an den Stahlüberbauten der Brücke. Die gewaltigen Konstruktionen wurden dabei ein Stück angehoben, auseinandergerissen und krachten dann mit riesigem Getöse in den Fluss. Ein unvergessliches Schauspiel für die Zuginsassen, die sich an den Anblick von bombenzerstörten Städten zwar schon gewöhnt, aber die unmittelbare Zerstörung eines so großen Bauwerkes noch nie gesehen hatten und nun auf die Abfahrt des Zuges warteten. Bald danach setzte sich der Zug in Bewegung.

Zerstörte Rheinbrücke bei Worms
Zerstörte Rheinbrücke bei Worms
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv

Desertieren um zu überlebenFlucht aufs Land

Onkel Karl, damals Gefreiter bei Görings Luftwaffe, war erst ein oder zwei Tage vorher von seiner Einheit beurlaubt worden, um bei seiner ausgebombten Familie in Weisenau nach dem Rechten zu sehen. Er war in Uniform und wollte Frau und Tochter über Worms zu Verwandten in ein kleines Dorf im Odenwald bringen. In Weisenau und auch in Mainz gab es ja seit dem schweren Bombenangriff am 27. Februar 1945 riesige Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, mit Wasser und Strom und viele hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Jeder, der sich damals zu Verwandten aufs Land flüchten konnte, verbesserte seine eigene Lage und linderte damit noch die Not in den bombardierten Städten.

Onkel, Tante und die vierzehnjährige Cousine waren noch ganz schockiert von dem Brückeneinsturz, als sich der Zug in Bewegung setzte. Sie hatten jetzt die Hoffnung, dass sie unterwegs von Tieffliegerangriffen verschont bleiben würden. Die Fahrt bis in das bereits stark zerstörte Worms verlief dann auch ohne Zwischenfälle. In Worms wohnte eine Verwandte der Tante Sefa, deren Haus noch unversehrt war. Bei Tante Mienchen in der Spiessstraße wurde deshalb erst einmal Halt gemacht und das weitere Vorgehen besprochen. Onkel Karl hatte nämlich nach 4 Jahren „Soldat spielen“, vom Krieg die Nase voll und wollte sich absetzen. Dies war damals allerdings ein lebensgefährliches Unterfangen.

Den Bomben knapp entkommen

Onkel Karl hatte vor, zunächst seine Frau und die Tochter bis zur Wormser Rheinbrücke zu begleiten, dann zur Tante zurück zu gehen, Zivilkleider anzuziehen und in der Nacht mit einem Paddelboot den Rhein zu überqueren. Er hätte dazu in eines der am Rheinufer liegenden Bootshäuser in der Dunkelheit einbrechen müssen. Der riskante Plan hätte gelingen können. Onkel Karl ging also nachmittags in Uniform mit den beiden Frauen zur Brückenauffahrt, die streng bewacht war und erzählte den „Kettenhunden“, die dort kontrollierten, dass er Frau und Tochter hierher gebracht hätte, weil sie ausgebombt waren, aber auf der anderen Rheinseite bei Verwandten Zuflucht finden könnten. Er selbst bliebe jedoch zurück, um sich bei der nächsten Kommandantur zu melden. Das wurde ihm auch geglaubt.

Auf der Ladefläche eines Lastwagens, der mit Benzinfässern beladen war, konnten die beiden Frauen dann sogar über die Brücke und auf der anderen Seite weiter bis nach Bürstadt mitfahren. Sie hatten bei der Fahrt eine Höllenangst, denn bei einem Tieffliegerangriff wäre von dem LKW mit den Benzinfässern nicht mehr viel übrig geblieben, geschweige denn von den Mitfahrern. Die Fahrt verlief aber ohne Zwischenfälle. In Bürstadt hatten die beiden Frauen das Glück, von einem älteren Ehepaar für eine Nacht aufgenommen zu werden. Am gleichen Abend erlebte die Stadt Worms den zweiten großen Fliegerangriff und es gab viele Tote. Von Bürstadt aus konnte man die Detonationen auf Wormser Seite hören und die Stadt brennen sehen. Die Angst der Tante und ihrer Tochter um den Familienvater in Worms war riesengroß. Trotzdem machten sich die beiden Frauen am nächsten Tag auf den Weg in den Odenwald. Zunächst mit dem Zug nach Weinheim und von dort zu Fuß, die lange Bergstrecke hoch bis nach Abtsteinach, wo die Verwandten wohnten.

Desertieren um zu überleben

Das Bangen um das Schicksal des Familienvaters endete erst nach 2 oder 3 Tagen, als Onkel Karl spätabends in Abtsteinach an die Haustür klopfte. Er erzählte, dass er den Fliegerangriff auf die Stadt Worms mit Tante Mienchen im Keller des Wohnhauses in der Spiessstraße unbeschadet überstanden hatte. Das Haus war glücklicherweise nicht getroffen worden. Er musste sich auch kein Paddelboot beschaffen, denn in dem allgemeinen Chaos nach dem schweren Fliegerangriff konnte er mit anderen Zivilisten über die Brücke auf die andere Rheinseite gelangen.
 Noch in der gleichen Nacht war er in Richtung Odenwald marschiert, hatte sich dann tagsüber in Gebüsch oder Wald versteckt und ist in der nächsten Nacht weitergelaufen. Nach der glücklichen Ankunft in Abtsteinach konnte er jedoch nicht im Wohnhaus der Verwandten bleiben, denn es bestand die Gefahr, dass ihn Feldjäger bei der Suche nach Deserteuren finden würden. Auch nachdem die Amerikaner das Gebiet besetzt hatten, musste er sich noch verstecken, weil damals alle Wehrmachtsangehörigen gefangen genommen wurden. Sein Versteck war ein provisorischer Unterstand in einem dichten Waldstück, in dem er über mehrere Wochen die Tage und Nächte verbringen musste. Nur hin und wieder konnte er nachts im Dorf seine Familie besuchen, um sich Nahrung und frische Wäsche zu besorgen. Erst bei Kriegsende konnte er das Versteck endgültig verlassen. Später sprach er davon, dass diese Wochen im Wald die härteste Zeit seines Lebens gewesen wäre. Trotz allem, mein Onkel hatte sich durch diese sehr riskante Aktion einen letzten Kampfeinsatz und sogar die Gefangenschaft erspart. Nicht auszudenken, wenn es schiefgegangen wäre. Die Wormser Rheinbrücke (damals noch Ernst Ludwigbrücke) ist zwei Tage nach dem Fliegerangriff, am 20.3.1945 von der deutschen Wehrmacht gesprengt worden.

Worms, im Januar 2013
Erinnerung von Norbert Falkenhage

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