Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945

Wormser Totalausgebombte und Fliegergeschädigte

Elke Schilling erinnert sich, wie die Wormser nach der Bombennacht vom 18. März 1945 aus der Stadt flüchteten. Sie selbst war damals 5 Jahre alt und schildert, wie sie als Kind die Besatzungszeit nach dem Ende des 2. Weltkrieges in Worms erlebte.

Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
© Stadtarchiv Worms Abt. Füller Nr. M01026_2, Fotograf: Curt Füller

Flucht aufs Land

Diese Menschen versuchten sich nach dem Angriff vom 18. März 1945, genau einen Tag nach meinem 5. Geburtstag, sich durch die brennenden Strassen der Innenstadt durchzukämpfen, um in einem der umliegenden Dörfer Unterschlupf zu finden. Genau diese Menschen wurden zu einem späteren Zeitpunkt unter Termindruck gesetzt, indem sie zu einem vorgegebenen Datum in die Stadt zurückgekehrt sein mussten. Wer dieser Aufforderung nicht nachkam, der verlor das Wohnrecht in Worms. Diese Anordnung hatte zur Folge, dass sich abermals eine „Völkerwanderung“ in Gang setzte, nun jedoch in umgekehrter Richtung.

Leider kenne ich diese Daten nicht genau, doch vielleicht gibt es noch Betroffene von damals (evtl. deren Nachkommen), die Näheres, etwas detaillierter, dazu berichten können. Man konnte am Anfang der Besatzungszeit auch nicht x-beliebig umherreisen, sondern musste bei der jeweilig zuständigen Besatzungsmacht eine Genehmigung, so quasi ein Passierschein, einholen.

Französische Besatzungszeit

Als die Amerikaner nach kurzer Zeit die Stadt wieder verlassen hatten, kamen die Franzosen mit ihren Familien und zogen im Westend in die frei gewordenen Liegenschaften. Für ihre Kinder wurden eigens deutsche „Kindermädchen“ angestellt. Nun nannte man unser Viertel am Park „Ile de France“.

Schnell hatten wir Kinder uns miteinander angefreundet. Die Sprachbarriere stellte jedenfalls kein Hindernis da. Meine neue Freundin aus der Nachbarschaft hiess Francoise. Sie hatte noch eine kleine Schwester namens Georgette, mit der sie jedoch noch nicht spielen konnte, so dass ich, nur wenig älter als sie, die richtige Spielkameradin wurde. Ihr Vater war Chef der Gendamerie mit Büro Ecke Röderstrasse/Lortzingstrasse. Er war auf die Deutschen sehr schlecht zu sprechen, hatten diese doch in Frankreich seine Eltern vor seinen Augen erschossen. Es grenzte fürwahr an ein Wunder, dass er uns Kinder eine richtige Freundschaft aufbauen liess. Francoise sass bei unserem bescheidenen, ärmlichen Mahl zu Tisch und mir war es oft vergönnt, an ihrem üppigen, für mich völlig unbekannten und ungewohnten Mehrgang-Menue teilzuhaben.

Die Jagd war eine Leidenschaft von Francoise's Vater. Da die Deutschen keine Gewehre mehr besitzen durften, kam er voll auf seine Kosten. Wir Mädchen durften dann immer mit ihm raus aufs Land fahren und der treue Riesenschnauzer Borzel war ebenfalls mit von der Partie. Wir mochten diesen struppigen Gesellen, und er liebte uns Kinder mit seiner ganzen treuen Hundeseele. Leider wurde er beim Kampf mit einem Marder derart verletzt, dass er an der daraus resultierenden Infektion starb.

In dieser Zeit wurde die Westendschule unterteilt, mussten doch auch die Franzosenkinder zur Schule gehen. Die eine Hälfte zur Stadt hin, war für sie reserviert, die andere gegen die Abzweigung für uns Deutschen. Der Schulhof war durch einen speziell hohen Maschendraht-Zaun abgeteilt, der sich leider aufdrängte, waren doch nicht alle friedfertig. Auf beiden Seiten des Zaunes gab es Gehässigkeiten, die gerne unter Zuhilfenahme von Steinen ausgetragen wurden. In der „Elektrisch“, wie die alte Strassenbahn genannt wurde, durften z.B. die Franzosen vorne ihre Sitzplätze einnehmen oder die Kinder stehen, und die Deutschen mussten mit dem hinteren Bereich Vorlieb nehmen.

Die Mädchen der Franzosen waren deutlich zu erkennen. Die Frisuren waren langes Haar, an den Seiten, oberhalb der Ohren zum Hinterkopf und dort mit Schleife oder Spange zusammengehalten. Im Winter trugen sie ein Hasenfell-Mäntelchen, meist in hellgrauer Farbe und darunter schauten die nackten Beine mit dicken, weissen Wollsocken bekleidet, hervor. Im Sommer trugen sie ganz spezielle Kleiderschürzen, die hinten gebunden waren.

Francoise hing sehr an meiner Mutter, da ihre Mutter viel mit ihrem Mann unterwegs war. Diese Gelegenheit nutzte sie dann und ging einfach nicht nach Hause oder schlich sich am Abend von zu Hause, mal kurz über den Gartenzaun, davon. Meiner Mutter erzählte sie dann, das Kindermädchen Gusti wisse Bescheid und hätte es erlaubt, dass sie im Haus nebenan, bei Tante Emmi und Elke, nächtige. Es stellte sich jedoch recht bald heraus, dass das gelogen war.

Nun, auch hier hiess es dann einmal Abschied nehmen, als auch die Franzosen Worms verliessen und die Amerikaner wiederkamen. Als das Datum des Abschieds den Eltern von Francoise bekannt war, musste Francoise zusätzlichen Unterricht in ihrer Muttersprache über sich ergehen lassen, da sie zu diesem Zeitpunkt besser deutsch mit Wormser Akzent sprach, und ihre Eltern, besonders ihre Mutter grosse Mühe hatte, sich mit ihrer Tochter in der französischen Sprache zu unterhalten.

Was damals für die Erwachsenen eine gedemütigte, unfreie Zeit bedeutete, war für mich eine schöne Kindheitserinnerung. Wenn man im Krieg geboren wurde und die guten Zeiten, wo es alles zu kaufen gab, wie zum Beispiel Orangen, Bananen, Schokolade, Pralinen und vieles andere mehr, nie kennenlernen durfte, nie gesehen hatte, geschweige denn den Geschmack dieser Produkte einmal genüsslich auf der Zunge hatte zergehen lassen können, dann weiss man in einer solchen Lage auch nicht um das Fehlen dieser Dinge und ist zufrieden.

Diese Unbekümmertheit wurde dann aber immer mehr von dem schmerzlichen Verlust überschattet, als mir richtig bewusst wurde, dass es keine Hoffnung mehr gab, dass ich meinen Vater jemals in diesem Leben wieder sehen würde und auch er ein Opfer dieses 2. Weltkrieges geworden war.

Die Amerikaner sind wieder zurück in Worms

Inzwischen älter geworden, waren auch die ehemaligen Nachbarn mehrheitlich alle wieder in ihre Häuser zurückgekehrt.

Jetzt kamen zwar die Amerikaner wieder, jedoch dieses Mal vielfach mit ihrer Familie. Sie galten nun nicht mehr als Besatzungsmacht in Deutschland, sondern als die Beschützer Westdeutschlands und generell des Westens gegen die Bedrohung aus dem Osten. Es entstanden eigens ganze Siedlungen, entweder Neubauten oder vorhandene Einrichtungen wurden extra umgebaut.

Die Deutschen vermieteten besonders gerne an Amerikaner, da diese grosszügig ihre Dollars ausgaben. Das amerikanische Militär bekam seinen Sold in Dollars ausbezahlt! Das hiess zur damaligen Zeit: 1 Dollar = bis DM 4.50 . Die Vermieter stellten dann aber sehr schnell fest, dass die lukrative Mieteinnahme nach Wohnungswechsel zu einem grossen Teil wieder in die Renovation des Mietobjektes gesteckt werden musste.

Das Strassenbild war nun geprägt von den grossen Amerikaner-„Schlitten“ (Pkw's), wie sie im Volksmund genannt wurden. Typisch waren auch die Wareneinkäufe der amerikanischen Frauen. Wenn sie nicht mit dem für unsere Begriffe protzigen Wagen fuhren, dann trugen sie ihre Einkäufe immer Kaugummi kauend in übergrossen, hellbraunen starken Papiertüten, mit beiden Armen umfassend, vor sich her. Es waren so kleine, aber nicht zu übersehende Auffälligkeiten. Amerikaner wie auch Franzosen hatten ihren eigenen Einkaufsladen, wo sie sich ausreichend mit Waren aus ihrem Land versorgen konnten. Zutritt für Deutsche war dort selbstverständlich nicht erlaubt.

Die Fremden wurden mit den Jahren akzeptiert, zumal sie ja jetzt als unsere Beschützer galten. Sie gehörten nun einfach dazu.

Bomberangriffe legten Worms in Schutt und Asche (21.02. + 18.03.1945)

Plastisch und bewegend beschrieb der Wormser Journalist Willi Ruppert die Ereignisse des 21. Februar 1945 in seinem Buch „...und Worms lebt dennoch!“. So heißt es darin:

„Der Abend senkt sich über Worms. Ein Abend wie viele in diesen letzten Monaten des Winters 1944/1945, unruhig, fiebrig und drohend. Die Stadt erwartet ihr Schicksal....

Nach 19 Uhr hat der Funk den Anflug starker Bomberverbände auf den Raum „Berta/Dora“ gemeldet. Wird es heute sein? 'Die Verbände im Anflug auf den Raum Worms....', tönt es unheilvoll aus dem Lautsprecher.

Längst ist Vollalarm. Die Menschen sind mit ihren Bündeln in die Keller geeilt, wie so oft in diesen letzten Monaten. Ausgestorben liegen die dunklen Straßen, als in der Ferne Scheinwerfer zu spielen beginnen. Dumpf und drohend rollen die Formationen heran, näher und näher.

Am Südrand der Stadt blitzt das erste Richtungszeichen auf, gleich danach ein zweites. Zischend prasseln die Brandbomben und Kanister auf das Gebiet zwischen Horchheim und der Vorstadt. Unheimlich schnell wälzt sich die Feuerwelle auf die Stadtmitte zu.

Als um 20.26 Uhr alles auf die brennende Erde niedergeprasselt ist, haben 1.100 Sprengbomben und weit über 100.000 Brandbomben und Kanister mit Phosphor städtisches Gebiet getroffen, Häuser, Straßen und Fabriken, Kirchen, Plätze und Gräber.“

Zwei Bomberangriffe, jener verhängnisvolle am 21. Februar und ein noch folgender am 18. März, legten die Stadt in Schutt und Asche. Unter der Zivilbevölkerung waren Hunderte Tote und Verletzte zu beklagen. Die Schäden waren enorm.

Datenschutzhinweis

Unsere Webseite nutzt externe Komponenten (Youtube- und Vimeo-Videos, Google Maps, booking.com). Diese helfen uns, unser Angebot stetig zu verbessern und Ihnen einen komfortablen Besuch zu ermöglichen. Durch das Laden externer Komponenten können Daten über Ihr Verhalten von Dritten gesammelt werden, weshalb wir Ihre Zustimmung benötigen. Ohne Ihre Erlaubnis kann es zu Einschränkungen bei Inhalt und Bedienung kommen. Detaillierte Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.