Neugierig blickt ein schlappohriger Dackel über dem Domportal auf uns herunter. Aber was um alles in der Welt macht er da oben? Hatten die Steinmetze keine Lust mehr auf Heilige und Dämonen?
Wer vor dem Hauptportal des Wormser Kaiserdoms steht und an der linken Seite nach oben schaut, dem blickt zwischen zahlreichen Heiligen ein Dackelantlitz entgegen. Aber was macht ein steinerner Hundekopf am berühmten Wormser Dom?
Bei dem Dackel handelt es sich um den Hund des Dombaumeisters Philipp Brand. Er leitete in den 1920er die umfangreichen Renovierungsarbeiten am Wormser Dom. Auf Schritt und Tritt begleitet wurde er dabei von seinem treuen Dackel.
Als Brand wieder einmal auf einem Gerüst stand, sprang das Tier ihn an. Der Hund versuchte Brand ins Bein zu beißen, woraufhin dieser zur Seite sprang. Wenige Augenblicke später krachte ein Gesteinsbrocken herunter, der sich weiter oben gelöst hatte.
Der Dackel hatte dem Dombaumeister das Leben gerettet und zum Dank dafür verewigte er den Hund am Südportal des Wormser Doms.
Soweit die uns bisher bekannte, "offizielle" Dackelerzählung. Weitaus weniger heroisch ist, was uns P. Brand, der Enkel des Dombaumeisters, zu berichten weiß:
"In meiner Familie wurde die Geschichte etwas anders erzählt. Unklar war, ob es “der” oder “die” Dackel war, der Name als potenzielles Identifizierungsmerkmal war dem Vergessen anheim gefallen.
Philipp Brand, ein stets strenger Bauleiter, mit einem deutlich ausgeprägten Hang zum autokratisch-autoritären Verhalten und Führungsstil ausgestattet, wird eines Tages vom 1. Steinmetz in der morgendlichen Baubesprechung gefragt, was man jetzt als Schlussstein setzen solle? Seinen Leuten falle nach all den Arbeiten der Rekonstruktion oder des Nachschaffens gemäß historischer Vorlagen nichts mehr ein. Leer könne die Stelle nicht bleiben. Philipp Brand versprach Abhilfe.
Beim Mittagessen erzählt er seiner Frau beiläufig von dem Problem. „Nimm‘ doch den Hund“ - wohl eher als Scherz gedacht, die Antwort. Ph. Brand nimmt den Vierbeiner mit. Sein Obersteinmetz soll etwas eigenartig geschaut haben, ein Dackel zwischen Helden und Heiligen. Das sei schließlich auch ein Geschöpf Gottes und basta. Somit saß der Dackel Modell, über seine Gage, wohl in eher handfester materieller Form gezahlt, ist nichts überliefert. Sein in Stein geschlagenes Ebenbild habe ihn nicht interessiert, nicht einmal daran geschnuppert soll er haben.
Streit habe es wohl noch mit einem Kirchenoberen gegeben, der etwas dagegen hatte, einen komplett ausgestalteten Dackel an der Fassade zu sehen. Na gut, soll Ph. Brand gemeint haben, nehme ich das steinerne Ebenbild eben mit heim und über das Portal kommt eine Büste. Und so geschah es. Der in Stein erwachsene Dackel soll ein Opfer des Krieges geworden sein.
Soweit die Überlieferung von Alfons Brand, dem Erstgeborenen der Familie Ph. Brand."
P. Brand
Enkel des Dombaumeisters
(ergänzt im Juli 2022; Vielen Dank an P. Brand für die Zusendung seiner Familienanekdote per E-Mail, d.R.)
Die Stadt Worms verfügt leider über keine Archivalien, die eine bestimmte Version dieser Anekdote belegen könnte. Wie es sich nun genau zugetragen hat, werden wir wohl nie erfahren.
Dieser Frage ging das SWR Fernsehen auf den Grund. Das Video dazu ist bis zum 27.02.2025 abrufbar:
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