zugefrorener Rhein bei Worms 1928/29
zugefrorener Rhein bei Worms 1928/29

...als Vater Rhein erstarrte

Es war der kälteste Winter seit 1893, in Bayern wurde der Kälterekord mit Minus 37,8 Grad C gemessen. So fror, nach tagelangem Frost, in diesem denkwürdigen Winter 1928/1929 auch bei Worms der Rhein zu.

Menschen spazieren über den zugefrorenen Rhein, im Hintergrund die Wormser Rheinbrücke (Winter 1928/1929)
Menschen spazieren über den zugefrorenen Rhein, im Hintergrund die Wormser Rheinbrücke (Winter 1928/1929)
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv Worms

Volksfeststimmung auf dem Eis

Der kälteste Tag im 20. Jahrhundert in Worms war der Fastnachtdienstag am 12. Februar 1929 mit minus 24 Grad Celsius. Fast auf ganzer Länge war der Fluß von Eis bedeckt. Eisschollen schoben sich zunächst ineinander bis, bis Vater Rhein zum Stillstand kam.

Zeitzeugen berichten von regelrechter Volksfeststimmung. Alle zog es zum Rhein. Allerlei Veranstaltungen wurden auf dem Eis abgehalten. Vor allem aber war es ein einmaliges Erlebnis, den breiten Strom zu Fuß zu überqueren.

Der zugefrorene Rhein bei Worms. Postkarte, 1929
Der zugefrorene Rhein bei Worms. Postkarte, 1929
© Fotograf: Quelle: E. Schilling-Laubmeister

Schwere Schäden

In jener Zeit konnte das Wasser des Stromes bei Wintertemperaturen um Minus 20 Grad C noch gefrieren. Heute ist das wegen der Einleitung von Abwässern und der Nutzung des Rheinwassers zur Kühlung von Kraftwerken nicht mehr möglich.

Auf der anderen Seite standen die verheerenden Schäden mit den Folgekosten. Zugefrorene Wasserleitungen waren noch relativ harmlos. Für die eingefrorenen Schiffe im offenen Wasserlauf, die frei gesprengt werden mussten, war diese Situation sehr kostspielig. Die Verbraucher hatten danach zwangsläufig höhere Preise zu zahlen. Auch die Jäger blieben zum Beispiel nicht verschont und mussten tote Rehe, Hasen und dergleichen einsammeln.

(Mit Hinweisen von Elke Schilling-Laubmeister und Edmund Ritscher)

Aufgetürmte Eisschollen auf dem Rhein: vermutlich eine alte Postkarte mit der Aufschrift "Der Rhein b./Worms im Eis im Febr. 1929"
Aufgetürmte Eisschollen auf dem Rhein: vermutlich eine alte Postkarte mit der Aufschrift "Der Rhein b./Worms im Eis im Febr. 1929"
© Fotograf: Quelle: Klaus Leutemann

"Rhein bei Worms im Eis"

Ein altes Album brachte dieses Foto von den aufgetürmten Eisschollen mit Blick auf die Rheinbrücke zutage. Es handelt sich vermutlich um eine Postkarte und wurde uns freundlicherweise von Klaus Leutemann zur Verfügung gestellt.

Karussell auf dem Rhein bei Worms?

Gab es 1929 auch ein Karussell auf dem zugefrorenen Rhein bei Worms?

Spaziergänger, Kinder und Fotografen nutzen das außergewönliche Ereignis (1928)
Spaziergänger, Kinder und Fotografen nutzen das außergewönliche Ereignis (1928)
© Fotograf: Stadtarchiv Worms

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Kein Karussell. Nach einem sich hartnäckig haltenden Gerücht, das zu durchschnittlich zu einigen Anfragen pro Jahr im Fotoarchiv führt, soll auf dem Eis des im Februar 1929 zugefrorenen Rheins ein Karussell gestanden haben. Viele erzählen, dass in der Familie davon berichtet wurde.

Von kaum einem Ereignis zu dieser Zeit haben sich vergleichbar viele Fotos erhalten, die Datenbank des Stadtarchivs gibt 35 Fundstellen an. Auf den Bildern selbst, wie auf unserem Beispiel, sind einige Fotografen mit ihrer Ausrüstung zu sehen. Alle zeigen entweder das erstarrte Treibeis auf dem Rhein oder die Menschenmengen, die hinüberlaufen; auch ein Reiter mit Pferd ist darunter. Aber kein Karussell. Ein Hinweis könnte sich vielleicht in der zeitgenössischen Berichterstattung der Wormser Zeitung finden, die es sicherlich nicht unerwähnt lassen würde, wenn ein Karussell auf dem Rhein gestanden hätte.

Tatsächlich ist vom 05. Februar 1929 bis Anfang März 1929 fast täglich etwas über das eiskalte Winterwetter mit Rekordtemperaturen unter Null und über den Rhein zu lesen. Am 14. Februar war das Treibeis bei Worms zum Stehen gekommen, Tausende wagten sich trotz polizeilicher Warnung auf das Eis. Der Verkehrsverein plante schon ein rauschendes Eisfest, mit Verkaufsständen, Tanzboden und Karussells, doch dann setzte am Wochenende vom 03. März Tauwetter ein.

Es standen zwar Karussells im Winter 1929 auf Neckar und Rhein, doch nicht bei Worms – allen Gerüchten zum Trotz. Die ausführliche Auswertung der Zeitungsberichte finden Sie hier

Alte Postkarten aus der Zeit
Alte Postkarten aus der Zeit
© Fotograf: Quelle: Sabine Heucher
Schiffe am Ufer des zugefrorenen Rheins, im Hintergrund die Eisenbahnbrücke Worms. Postkarte, 1929
Schiffe am Ufer des zugefrorenen Rheins, im Hintergrund die Eisenbahnbrücke Worms. Postkarte, 1929
© Fotograf: Quelle: E. Schilling-Laubmeister

1880 bereits einmal zugefroren

Auch im Jahr 1880 fror der Rhein völlig zu. Lesen Sie die Erinnerungen einer Zeitzeugin:

Kindheitserinnerungen von Emma Lehnert *1876 in Worms
für meine Kinder Emma Gertrud Lehnert Hirschland ,1950

Übersetzt ins Deutsche von Anita Penkert, Urgroßnichte von Emma (Ururenkelin von Johann Heinrich Franz Ernst Lehnert, 1840-1888)

Deutschland am Ende des letzten Jahrhunderts war ein schöner und friedlicher Ort. Zumindest kommt es mir in der Rückschau so vor, und ich bin auch sicher, dass es so war. Aus dem Krieg von 1870-71 war Deutschland siegreich hervorgegangen, und damit einhergehend kamen ein Gefühl von Sicherheit und Selbstbewusstsein sowie ein gewisser Wohlstand.
Ich wurde am 12. Januar 1876 in der alten Kaiserstadt Worms am Rhein geboren als fünftes Kind von Johann Heinrich Franz Ernst Lehnert, zu der Zeit Leiter einer Landwirtschaftsschule, und seiner Frau Maria Magdalena, geborene Kurz. Meine älteren Geschwister waren: Ernst, Friedrich, Marie und Mathilde, und die zwei jüngeren, damals noch nicht geborenen, Thekla und Else.
[...]

Die vier ältesten Kinder wurden in Mülheim geboren. Nach einer kurzen Zwischenstation in Alzey, Hessen, landeten wir in Worms am Rhein in Hessen, wo ich und meine beiden jüngeren Schwestern geboren wurden.
Meine ersten Erinnerungen setzen an einem Tag ein, als meine Mutter mit dem Mädchen vom Markt heimkam, das zwei große Körbe mit Köstlichkeiten trug. Ich kann nicht älter als zwei Jahre alt gewesen sein, denn ich war sicher, dass es das erste Haus war, das wir dort bewohnten. Ich kann mich auch an einen Garten erinnern, in dem mir der Sekretär meines Vater, Herr Herbold, das Laufen beibrachte, und in dem meine beiden Schwestern je einen Rosenbusch für sich reklamierten.

Die nächsten Erinnerungen betreffen das neue Haus, und sie sind viel klarer. Das Haus war ein ehemaliges Nonnenkloster, ein weitläufiges zweistöckiges Gebäude, dessen zweites Stockwerk wir bewohnten. Auf der Rückseite befand sich ein großer Hof mit Pumpe und einigen kleineren Gebäuden wie Werkstätten, die von den Bewohnern des Erdgeschosses benutzt wurden. Zwischen diesen Gebäuden war ein schmiedeeisernes Tor, das in einen riesigen Garten führte und den mein Vater zusammen mit der Wohnung angemietet hatte. Für uns Kinder war er das Paradies, und ich sehe ihn noch genau vor mir. Er war der frühere Klostergarten und als solcher rundum von hohen, dicken Mauern durchgehend umgeben.
[...]

Ein anderes großes Ereignis, das sich in jenen frühen Kindheitstagen zugetragen hat, war die Flut von 1880. Es war Frühlingsbeginn nach einem besonders strengen Winter. Der Rhein war so dick zugefroren, dass die Leute auf ihm spazieren und Schlittschuh fahren konnten, und an einem Tag gab es sogar einen Jahrmarkt dort. Ich kann mich erinnern, dass wir dies aus unseren Fenstern und vom Ufer aus sehen konnten, zu dem uns unsere alte Kinderfrau mitgenommen hatte. Überall gab es Lichter und fröhliches Treiben: Schlittschuhläufer, Schlitten und Pferdeschlitten sausten umher, Getränkestände, Fackeln, Musik und Lachen. Meines Wissens nach fuhren die Pferdeschlitten sogar bis zur anderen Rheinseite hinüber.

Doch der Frühling kam sehr plötzlich, und mit ihm das große Tauwetter. Der Rhein trat über seine Ufer und führte große Eisschollen mit sich. Eines Nachts hörten die Leute, die im Erdgeschoss wohnten, das Geräusch von plätscherndem Wasser, und als sie im Dunklen aus dem Bett stiegen (es gab noch kein elektrisches Licht), standen sie fast bis zu den Knien im Wasser. Sie rafften an Kleidung und Bettzeug zusammen, was sie konnten, und flohen ins obere Stockwerk. Es war ein komischer Anblick, wie sie in ihrem Schlafzeug vor unserer Tür standen und um Aufnahme baten. Meine Eltern brachten sie auf Matratzen in der enormen Diele unter. Dann weckte mein Vater uns Kinder auf. Wir mussten uns anziehen und jeder ein Bündel mit zusätzlicher Kleidung zusammenpacken. So saßen wir auf unseren Betten und beteten, während wir ängstlich warteten, ob wir auf eines der Boote fliehen müssten, die eine Rettungsgesellschaft herbeigeschafft hatte. Während wir warteten, gab es ein großes Krachen, und wir glaubten uns schon dem Ende nahe. Aber nichts weiter passierte, und nach einer verdrießlichen Nacht fanden wir heraus, dass eine große Eisscholle eine Seite unserer Gartenmauer zerschmettert hatte, die mindestens 25 bis 30 Zentimeter stark war. Vater erzählte uns später, dass der Wind, der in jener Nacht stark war, im letzten Moment die Richtung geändert hatte, sonst hätte die Eisscholle wohl unser Haus getroffen. Wir waren uns sicher, dass unsere Gebete dies bewirkt hatten.

Am nächsten Tag war es aufregend zu sehen, wie mein Vater und die älteren Geschwister von einem Boot abgeholt wurden, da sie in die Schule gehen mussten. Am Sonntagmorgen brachte Nettchen, unser Mädchen, mich und Thekla auf Brettern, die von einer Seite der anderen gelegt wurden, gegenüber zum Bäcker. Wir hatten beide neue grüne Samtkleider an, auf die wir sehr stolz waren. Ich ging voraus, Nettchen folgte mit Thekla an ihrer Hand. Auf der nächsten Stufe standen ein paar junge Männer, mit denen Nettchen natürlich flirten musste, so dass sie nicht auf das Kind an ihrer Hand achten konnte, das stolperte und plötzlich halb im Wasser versunken war. Ich weiß nicht, was die Konsequenzen für Nettchen waren, aber Theklas Kleid litt erheblich durch das Bad.
Nach der Schule holten meine beiden Brüder einen großen Waschzuber und segelten im Garten umher. Als sie der offenen Kellertür zu nahe kamen, zog sie die Strömung in den Keller hinunter, und es gelang ihnen nur unter größten Mühen, nicht in einen unterirdischen Durchgang gezogen zu werden, der der Legende nach in früheren Zeiten das Konvent mit dem Kloster auf der anderen Rheinseite unter dem Rhein hindurch verbunden hatte. Wieviel davon wahr ist, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass meine Brüder einmal versuchten, den Gang mit einem brennenden Kerzenstummel zu erforschen. Als dieser ausging, bekamen sie Angst und kehrten um.
Während ihr Gefährt in den Keller getrieben wurde, saß ich auf einer Holzplanke in unserem Garten und sah zu. In meiner Aufregung fiel mir mein neuer roter Samtpantoffel ins Wasser. Als wir ihn nach Rückzug des Wassers endlich fanden, taugte er nicht mehr zum Tragen.
[...]

Bei sieben Kindern gab es natürlich Aufregungen und Unfälle aller Art. An manche erinnere ich mich schwach, andere weiß ich vom Hörensagen. Bei einem dieser Vorfälle nahm mich Frau Baum mit an die Zugbrücke über den Rhein. Gerade als wir in der Mitte der Brücke waren, kam ein Schiff und die Brücke öffnete sich. Ich war auf der Seite, die aufschwang, und Frau Baum auf der festen Seite. Es muss einem kleinen Wunder geglichen haben, dass ich auf meiner Seite blieb und nicht versuchte, zu ihr hinüberzulaufen.
[...]

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