Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945

Magere Zeiten nach 1945

Das Leben musste nach dem Krieg weitergehen. Abgesehen von den vielen menschlichen Tragödien, den Verlusten an Menschenleben, stand das große WIE für „wie sollen wir eigentlich weiterleben“? Die gebürtige Wormserin Elke Schilling erinnert sich an die Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges:

Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
Blick vom Dom nach Nordosten auf die von Bomben zerstörte Wormser Innenstadt, Sommer 1945
© Stadtarchiv Worms Abt. Füller Nr. M01026_2, Fotograf: Curt Füller

Hunger, knurrende Mägen und Tauschhandel

Den geschmackvollen Wohnzimmer-Einrichtungen und Schmuckschatullen gelang es nicht, die knurrenden Mägen zu beruhigen. So schulterten die Menschen aus der Stadt ihre Rücksäcke und klapperten in den Dörfern jeden Hof ab, um etwas Essbares zu bekommen. Geld war zu dieser Zeit nichts wert, sondern der Tauschhandel Ware gegen Ware hatte seine Blütezeit. So manches Schmuckstück aus der Schatulle oder dem Wohnzimmerbuffet wurde gegen Butter, Eier, Mehl, Kartoffeln und vieles andere mehr, was eben so ein Bauernhof an Produkten hergibt, eingetauscht.

Nicht jeder hatte bei seinem Eintauschvorhaben Glück und musste dann unverrichteter Dinge am Abend mit schmerzenden Füssen und völlig erschöpft vor seine hungrige und erwartungsvolle Familie treten. Und immer wieder hofften diese Menschen dann auf den nächsten Tag, dass dieser erfolgreicher sein würde.

Dann schreiben Sie uns: Schicken Sie eine E-Mail mit dem Stichwort "Wussten Sie´s ?" an info@worms.de (Internetredaktion Stadtverwaltung Worms).

Hingegen war gegen Kaffeebohnen und Zigaretten, diese beiden Genussmittel, alles zu bekommen. Der Duft des Kaffee's, und waren es auch nur 5 Bohnen, stieg in die Nase und lies von besseren Zeiten träumen. Die Zigaretten brachten Ruhe in die Gemüter und stillten sogar den Hunger.

Wer ausgebombt war und nichts mehr zum Tauschen hatte, der sammelte am Güterbahnhof und der Eisenbahnstrecke entlang, wo Kohlen und sonstige Güter mit der Bahn transportiert wurden, alles was von den Wagen fiel. Auf den umliegenden Feldern wurde gestoppelt. Bevor die abgeernteten Äcker von den Bauern an die am Feldrand wartenden Städter freigegeben wurden, mussten die Erntehelfer nochmals eine Nachlese machen.

Die Zuckerrüben-Transporte von Pfeddersheim, Leiselheim, Pfiffligheim und anderen Dörfern fuhren mehrheitlich mit Fuhrwerken oder Traktoren ihre Rüben via Westendstrasse in die Zuckerfabrik im Norden der Stadt. Auf diesem Weg kullerte so manche Rübe vom Wagen, wenn sie über den Kiesbelag der Westendstrasse fuhren. Wohl nicht nur ich, sondern auch andere Kinder nutzten diese Gelegenheit, den wertvollen Fund der Mutter zu bringen, die dann einen Sirup daraus kochte. Nicht nur Rüben, auch Kartoffelschalen und Spargelschalen wurden, bevor sie im Abfall landeten, zuvor noch einmal ausgekocht, um daraus eine Suppe zu bereiten. Nur zu gut erinnere ich mich, dass man damals stundenlang die Linsen verlesen musste, um sie von den schwarzen Käfern zu befreien. Obst, zum Beispiel Äpfel und Zwetschgen wurden entkernt und entsteint, auf Schnüren aufgezogen und zum Dörren aufgehängt.

Die Strassen waren blitzblank, alles wurde verwertet. Sogar eine von den Amerikanern weggeworfene Zigarettenkippe wurde aufgehoben und so lange zu Ende geraucht, bis die Finger mit der Glut in Berührung kamen.

Kleine Dinge hoch im Kurs

Kerzen, Zündhölzer, Nähgarn, Knöpfe, Wolle, Hosengummi, Verbandsmaterial, einfach alles wurde rar. Dinge, ohne die ein Haushalt nicht auskommen kann und in normalen Zeiten als alltäglicher Kleinkram angesehen wurde, wurden ganz plötzlich kostbar, da dringend benötigt, aber nirgends zu bekommen. Alte handgestrickte Wollsachen wurden aufgezogen, danach die stark gekräuselte Wolle ins Wasser gelegt und anschliessend straff über ein Holzbrett gewickelt und geglättet. Nach dem Trocknen konnten somit wieder neue Dinge, wie zum Beispiel Socken, gestrickt werden.

Man sagt ja, Not macht erfinderisch und lässt den Einfallsreichtum sprießen. Gas, Wasser, Strom war entweder nicht mehr zu erhalten oder nur noch stundenweise verfügbar und das auch nicht immer zuverlässig.

Jetzt war ein guter, alter Holz- und Kohleherd in der Küche Gold wert, besonders dann, wenn man etwas für in die Kochtöpfe bzw. für auf die Backbleche hatte. Die meisten Küchenherde besaßen an der Seite noch ein integriertes Metall-Becken, „Schiff“ genannt, welches mit Wasser aufgefüllt, gleichzeitig noch für warmes Wasser sorgte.

Kerzen waren die einzige Lichtquelle, wenn der Strom mal wieder ausgefallen war. Alle Dinge für den täglichen Gebrauch oder Verzehr ersetzten das Geld, das nur noch Papierwert hatte. Dem Feldschütz aus Pfiffligheim oblag es auch, den Pfrimmpark unter seinen Schutz zu stellen, wo in dieser Zeit immer wieder versucht wurde, verbotenerweise Brennholz zu schlagen oder Äste abzusägen, um sich auf diese Art Heizmaterial zu besorgen. Es fehlte einfach an allem. Sofern der Kohlehändler in der Wehrgasse in Pfiffligheim Briketts, Eierkohlen und Koks angeliefert bekam, hieß es, sich dort mit einem Leiterwagen anstellen. Das benötigte tägliche Wasser, mit dem sehr sorgsam umgegangen werden musste, spendete eine Quellwasserpumpe in einem Anwesen in der Sitzingerstrasse, ebenfalls in Pfiffligheim. Jeder musste sein Wasser zuerst von Hand in die mitgebrachten Gefäße und Bottiche pumpen. Auch hier drängten sich die Leute, um an das kostbare Nass zu gelangen. Natürlich fand der Leiterwagen auch hier seinen Einsatz. Auf der Hinfahrt durfte man in dem Leiterwagen reinsitzen und die Fahrt genießen, doch sobald dieser beladen war, hieß es schieben.

Wie man mir später erzählte, wurden vor dem Krieg alle Automobile für die Wehrmacht requiriert, also beschlagnahmt. Durch diese Maßnahme kam der gute alte Leiterwagen wieder zu Ehren und wer einen sein Eigen nennen konnte, durfte sich reich schätzen. Unscheinbare Dinge bekamen einen anderen Stellenwert und die Wertschätzung erfuhr eine ganz neue Beurteilung.

Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass die Generationen, welche die Nachkriegszeit noch erlebten, sich nicht so leicht für's Wegwerfen entschließen, da man's ja vielleicht irgendwann noch einmal gebrauchen könnte.

Fremde Hilfe

Care-Pakete trafen aus Amerika ein, Verschickung unterernährter Kinder in die Schweiz erfolgten und in den Schulen gab's die Schulspeisung. Jeder SchülerIn musste ein Gefäß und Löffel mitbringen. Die Kinder liefen geordnet hintereinander zur Essensausgabe. Eine Lehrperson, meistens eine Lehrerin, stand hinter einem überdimensionalem Gefäß mit einer großen Schöpfkelle in der Hand, um jedem vorbeikommenden Kind einen Schöpfer Suppe oder Brei oder auch mal ein Kakaogetränk in sein Essgeschirr zu geben. Sehr selten gab es eine kleine Tafel Eszett-Schokolade, wie sie genannt wurde. Mit der heutigen Qualität absolut nicht zu vergleichen, doch damals war das etwas ganz Besonderes, zumal wir Kinder ja noch keine Schokolade kannten.

Wildschweinplage

Die Wildschweinplage auf den Äckern und die Bedrohung der Bauern und ihren Erntehelfern durch dieses Schwarzwild nahm deshalb ein so gravierendes Ausmaß an, da kein Deutscher mehr ein Gewehr besitzen durfte. Es war deshalb ratsam, dass sich die Landbevölkerung auf den Äckern stets mit starke Knüppeln „bewaffneten“, um schon lange bevor die Rotte sich näherte, mit den Knüppeln schwenkend, zu lärmen, so dass das Schwarzwild gar nicht erst in Reichweite kam und zum Angriff überging, bei dem der Mensch wenig entgegenzusetzen, geschweige denn eine Chance gehabt hätte.

Rückblick

Ja, das waren Zeiten und die haben sich fest eingeprägt, ebenso wie das Motorengeräusch der Bomber und das markdurchdringende Heulen der Sirenen. Jeder Tag glich einer Herausforderung und war für die Bevölkerung Lebenskampf zugleich.

Ein Beitrag von Elke Schilling, Schweiz

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