Der Neubau des Rathauses wächst
Der Neubau des Rathauses wächst

Worms im Wiederaufbau 1957/58

Durch die verheerende Zerstörung im 2. Weltkrieg verlor die Stadt alle hauptstädtischen Funktionen, die sie durch eigene Kraft wieder aufbauen musste. Lesen Sie hierzu einen Bericht von Dr. Friedrich M. Illert aus dem Jahre 1958.

Neubau des Rathauses am Marktplatz
Neubau des Rathauses am Marktplatz

Dr. Friedrich M. Illert über den Wiederaufbau

Eine Stadt, die alle ihre hauptstädtischen Funktionen verloren hat, hat es schwer, die Folgen ihrer Zerstörung von 1945 wieder durch einen neuen Aufbau auszugleichen und ihr neues Antlitz zu formen. Alle Bemühungen, im Zug der Neuordnung der politischen Verhältnisse durch die Übertragung von Verwaltungseinrichtungen oder kulturellen Zentralinstituten einen gewissen Anschluss an die große Vergangenheit zu erreichen, blieben ohne Erfolg. 


Die Stadt muss sich aus eigener Kraft im Rahmen ihrer mittelstädtischen Verhältnisse wieder aufbauen und ihren Platz zu behaupten versuchen inmitten der großstädtischen Konkurrenzen der Rhein-Main-Städte im Norden und der Rhein-Neckar-Städte im Süden. Sie muss sogar hinnehmen, dass ihr rechtsrheinisches Gebiet und ihr rechtsrheinischer Landkreis von ihr getrennt sind.

Trotz dieser ungünstigen Ausgangsposition konnte die Stadt aus dem Ertrag ihrer günstigen Landschafts- und Verkehrslage, des Reichtums ihrer Bodenschätze an Früchten, Obst und Wein und ihres kleinen, aber dicht besiedelten Hinterlandes wenigstens ihre städtische Bedeutung erhalten und durch einen emsigen Wiederaufbau dokumentieren.

Dreifaltigkeitskirche
Dreifaltigkeitskirche

Verkehrswege an "moderne" Entwicklung angepasst

Das Straßengefüge hat durch die Verbreiterung der Hauptdurchgangsstraßen eine neue, der modernen Verkehrsentwicklung Rechnung tragende Ausprägung erfahren und durch den Straßendurchbruch im Zug der Petersstraße eine übersichtliche Ost-West-Überquerung erhalten, die sich am Markt mit der Süd-Nord-Straße kreuzt. 


Die zum Rhein führende Oststraße zieht auf der 1953 wieder vollendeten Nibelungenbrücke über den Rhein. Die weiter nördlich den Rhein überquerende Eisenbahnbrücke, die zunächst als eingleisige Behelfsbrücke erneuert worden war, steht jetzt in ihrem doppelgleisigen Wiederaufbau, der im nächsten Jahr wieder eine wichtige Rheinüberquerung ermöglichen wird. Die Bundesbahn hat im Jahre 1958 ihren elektrifizierten Betrieb auf der Rheinstrecke aufgenommen.

Die Rheinbrücke wächst zusammen. Nach dem 2. Weltkrieg entstand in Worms anstelle der zerstörten Rheinbrücke die erste Spannbetonbrücke über den Rhein, gebaut ohne Gerüst von der Baufirma Dyckerhoff & Widmann (zwischen Mai 1951 und April 1953).
Die Rheinbrücke wächst zusammen. Nach dem 2. Weltkrieg entstand in Worms anstelle der zerstörten Rheinbrücke die erste Spannbetonbrücke über den Rhein, gebaut ohne Gerüst von der Baufirma Dyckerhoff & Widmann (zwischen Mai 1951 und April 1953).

Neue Industrien angesiedelt

Die einst blühende Lederindustrie, die der Stadt die Wiedergewinnung des städtischen Ansehens und vieler verlorener Kulturschätze gebracht hatte, ist durch Zerstörungen und Produktionsverlegungen klein geworden. 

Neue Industrien haben sich im nördlichen Industriegebiet am Rhein und südlich der Stadt angesiedelt und Bedeutung gewonnen. Sie sind im Begriff, die wirtschaftliche Grundlage der Stadt wieder zu festigen und auszubauen und eine neue Zukunft heraufzuführen. Schon beginnen diese Industrieunternehmungen mit ihren modernen Werkhallen das Gesicht der Stadt zu erneuern und ihre Rückwirkung im Gesamtleben der Stadt zu zeigen.

Die vor 50 Jahren eingerichtete elektrische Straßenbahn wurde durch einen Omnibusverkehr abgelöst, der in beweglicher Weise das ausgedehnte Stadtgebiet befährt.

Am Bahnhof entstanden Haltestellen für Omnibusse (heute bereits wieder ersetzt durch den neuen ZOB, Zentraler Omnibus Bahnhof)
Am Bahnhof entstanden Haltestellen für Omnibusse (heute bereits wieder ersetzt durch den neuen ZOB, Zentraler Omnibus Bahnhof)

Altstadt hat ein neues Gesicht erhalten

Die fast an eine Totalzerstörung grenzende Vernichtung der Altstadt hat inzwischen durch moderne Bauten ein neues Gesicht erhalten. Moderne Geschäfts- und Wohnhäuser sind an allen Straßen, Plätzen und Gassen entstanden und schließen allmählich die Ruinenflächen und Baulücken der Zerstörung zu neuen Stadt- und Straßenbildern zusammen. 


Großbauten und Reihenbauten begleiten die Straßenzüge auf den alten Wegen der Jahrtausende. Die öffentlichen Bauten des Stadt- und Landkreises sind in neuen Formen entstanden. Zu den Neubauten des Landratsamtes und seines Ämterhauses, der Wiederherstellung des Stadtamtsgebäudes und des alten Rathauses, ist jetzt an der Marktfront das stolze neue Rathaus als das Zentrum der Stadtverwaltung erbaut worden.

Post- und Telegraphenamt haben monumentale Neubauten geschaffen. Zu den wiederhergestellten großen Schulbauten ist die neue Pestalozzischule im Nordviertel entstanden. Jugendherberge und Altersheim haben in den Ruinen der Meilsburg und der Dechanei eine schöne und praktische Neuformung erhalten.

Rings um die Stadt sind Siedlungen entstanden. Der Verlust an Menschen, der durch die Zerstörung und Aussiedlung eingetreten war, ist wieder ausgeglichen.

Ein Fabrikgebäude an der heutigen B 9 (heute: Röhm)
Ein Fabrikgebäude an der heutigen B 9 (heute: Röhm)

Wiederaufbau alter Monumente

Inmitten dieser neuen Stadt sind die alten Monumente der Kirchen alle wiedererstanden: der Dom, die romanischen Stiftskirchen, die barocke Dreifaltigkeitskirche, die Friedrichskirche und im Nordviertel die neue Lukaskirche. Wohl stehen noch wechselnde Gerüste um ihre Mauern, bis das eine oder andere Werk des Wiederaufbaues ganz vollendet ist. Aber in allen Kirchen der evangelischen und katholischen Stadt, die fast alle zerstört waren, wird das Lob Gottes verkündet. 


Selbst der Synagogenbezirk zeigt nach seiner Enttrümmerung das hoffnungsvolle Bild der wiederzusammengesetzten Raschikapelle, des Frauenbades und des Beginns der Wiederaufrichtung der Männersvnagoge.

Im Andreasstift, das schon 1947 seine Wiederherstellung
gefunden hat, sind alle Städtischen Kulturinstitute in drangvoller Enge untergebracht. Der größte Teil des kulturellen Reichtums der Stadt konnte gerettet werden. Er wartet aber noch auf die Wiederherstellung der Stadtbibliothek im Bergkloster, des Stadtarchivs im Cornelianum, der Volksbücherei, der Volkshochschule sowie des Spiel- und Festhauses.

Hier ist der Tag des Wiederaufbaues noch nicht gekommen. Nur die Stiftung Kunsthaus Heylshof konnte durch das Opfer zweier Gemälde die Mittel beschaffen, diese große Kunstsammlung und den Schlossgarten am Dom wieder aufzubauen und in Ordnung zu bringen. In kurzer Zeit werden sich die Pforten dieses Kunsthauses wieder öffnen.

So beginnen auch die alten großen Traditionen der Stadt wieder aufzuwachen und sich in neuen Formen den Bewohnern und Besuchern mitzuteilen: die Stadt der Nibelungen, die Stadt großer geschichtlicher Entscheidungen, die Stadt der hundert Reichs- und Fürstentage und die Stadt der Reformation, die erloschene Hauptstadt des einst weitgedehnten Bistums und die Freie gefürstete Stadt des Reiches - all dieses Erbgut lebt noch irgendwo auch in der Erneuerung der Gegenwart und schließt sich zusammen im großen Bezirk zwischen dem kaiserlichen Dom und der Kirche der Reformation, wo sich der monumentale Mittelpunkt dieser Stadt ausbilden möge.

(Quelle: ein Artikel von Dr. Friedrich M. Illert aus dem "Adressbuch 1958 Worms und Umgebung"; freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Til Schrecker)

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