Wormser Wohnsiedlung Kiautschau, Alicestr. 23
Wormser Wohnsiedlung Kiautschau, Alicestr. 23

"Kiautschau"

Jede(r) Wormser(in) kennt das "Kiautschau", eine ehemalige Lederarbeitersiedlung, bestehend aus putzigen Fachwerkhäuschen und liebevoll gestalteten Vorgärtchen im Wormser Westen. Aber wissen Sie auch, wie die Siedlung zu ihrem Namen kam?

Idyllisch: die ehemalige Arbeitersiedlung "Kiautschau"
Idyllisch: die ehemalige Arbeitersiedlung "Kiautschau"
© Fotograf: Internetredaktion der Stadt Worms

Zauberhaftes Idyll inmitten der Stadt

Wer im Wormser Westen durch den Torbogen an der Ecke Friedrich-Ebert-Straße / Bebelstraße schreitet, gelangt in ein zauberhaftes Idyll inmitten der Stadt: in das "Kiautschau" - das ehemalige Lederarbeiterviertel der von Heyl'schen Lederwerke mit seinem kopfsteingepflasterten Sträßchen und schmucken Fachwerkhäusern.

Entstanden ist das Wohnviertel auf Initiative des Wormser Unternehmers Cornelius Wilhelm Freiherr Heyl zu Herrnsheim. Er wollte angenehme und sozialverträgliche Wohnverhältnisse insbesondere für Arbeiterfamilien schaffen. Am 15. November 1897 gründete er zusammen mit 29 anderen Wormser Bürgern die Wohnungsbaugesellschaft "Aktiengesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen namentlich zum Besten von Arbeitern in Worms am Rhein".

Der damalige Stadtbaumeister Karl Hofmann (1856-1927), der mit seinem stadtbildprägenden "Nibelungenstil" zu Bekanntheit und Ansehen gelangte und unter anderem auch die Gewerbeschule und den Wasserturm baute, gestaltete ein heute idyllisch-romantisch anmutendes Wohnquartier mit 115 Zwei-Familienhäusern mit ca. 35-50 qm Wohnfläche pro Wohnung und je einem kleinen Nutzgarten. Die Häuser wurden in Fachwerk ausgeführt und fanden internationale Beachtung.

Über Kopfsteinpflaster geht es vorbei an Fachwerkhäuschen
Über Kopfsteinpflaster geht es vorbei an Fachwerkhäuschen
© Fotograf: Internetredaktion der Stadtverwaltung

Benannt wurde die, vom Volksmund "Kiautschau" genannte, Arbeitersiedlung übrigens zu Ehren von Kaiser Wilhelm II. nach der, an der Südküste der Provinz Schantung (Shandong) der Volksrepublik China gelegenen, Kiautschou-Bucht (chin. Jiāozhōu) - von 1898 bis 1914 deutsches Pachtgebiet mit einer Größe von 552 km2 und der Hauptstadt Tsingtau (einst Musterkolonie der Deutschen, heute Qingdao geschrieben – zu deutsch "grüne Insel").

Etwa ein Dutzend Soldaten aus Worms waren in Kiautschou stationiert, von denen die meisten 1914 für mehr als fünf Jahre in japanische Gefangenschaft gerieten.

Von Elke Schilling-Laubmeister, einer Wormserin, die heute in der Schweiz lebt, haben wir erfahren, dass noch eine seltene und bei Briefmarken-Auktionen sehr begehrte chinesische Briefmarke über dieses ehemalige deutsche Pachtgebiet K i a u t s c h o u existiert. Diese Briefmarke erreichte im Frühjahr 2010 den Versteigerungserlös von 137.000,- Schweizer Franken (rund 93.600,- Euro)

Lage des Kiautschau im Stadtplan

Kampf um Kiautschau

Was hat Worms mit Japan zu tun? Der Weg führt über das China der Kolonialzeit: Wer im Wormser Westen durch den Torbogen an der Ecke Friedrich-Ebert-Straße / Bebelstraße schreitet, gelangt in ein zauberhaftes Idyll inmitten der Stadt: in das "Kiautschau"

Wormser kämpften am anderen Ende der Welt

Benannt wurde die, vom Volksmund "Kiautschau" genannte, Arbeitersiedlung übrigens zu Ehren von Kaiser Wilhelm II. nach der, an der Südküste der Provinz Schantung (Shandong) der Volksrepublik China gelegenen, Kiautschou-Bucht (chin. Jiāozhōu) - von 1898 bis 1914 deutsches Pachtgebiet mit einer Größe von 552 km2 und der Hauptstadt Tsingtau (einst Musterkolonie der Deutschen, heute Qingdao geschrieben – zu deutsch "grüne Insel").

Rund ein Dutzend Wormser waren 1914 an der Verteidigung des deutschen Pachtgebietes in China beteiligt. Wenn man dem Hinweis auf www.Tsingtau.info nachgeht, findet man nicht nur eine gute Beschreibung der Geschichte der Kolonie und der damaligen Ereignisse, sondern auch eine Liste mit Kurzbiographien sämtlicher ehemaliger Kriegsgefangener. Darunter auch die der Marinesoldaten aus Worms und der näheren Umgebung.

Einer von ihnen war noch am letzten Tag der fast 3-monatigen Kampf-handlungen umgekommen. Ein anderer kam schwer verwundet in englische Kriegsgefangenschaft und ein dritter, für den der Krieg in Tsingtau auf einem Hilfskreuzer begonnen hatte, kam über Guam in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager. Die übrigen waren alle länger als 5 Jahre in japanischer Gefangenschaft und kehrten erst im Januar 1920 in die Heimat zurück. Nachfolgend die Wormser „Helden“:

1.) Heinrich Greiß aus Pfeddersheim war Maat bei der Matrosenartillerie-Abteilung in Kiautschou. Er war in Japan in den Lagern Tokushima und Bando.

2.) Thomas Hasch war in Worms geboren, als Heimatadresse war jedoch Darmstadt angegeben. Er war Gefreiter in der 1. Kompanie des III. Seebataillons. In Japan gefangen im Lager Nagoya.

3.) Karl Helbig war Seesoldat in der 3. Kompanie des III. Seebataillons. Er war Kriegsgefangener im Lager Kurume.

4.) Johann Hildenbrandt aus Worms- Hochheim war Seesoldat in der 1. Kompanie des III. Seebataillons. Er war ebenfalls Gefangener im Lager Kurume.

5.) Dr. Otto Koehl war Schiffsarzt auf dem Hilfskreuzer Cormoran, der im August 1914 von Tsingtau aus auf Kaperfahrt ausgelaufen ist. Das Schiff konnte jedoch wegen mangelhafter Versorgung mit Kohlen seinen Auftrag nicht ausführen und musste deshalb im Hafen von Guam (damals US.-Pachtgebiet) vor Anker gehen. Die Mannschaft wurde dort zunächst interniert, 1917 nach Kriegseintritt der USA gefangen genommen und nach Amerika gebracht. Sein Vater war der Wormser Sanitätsrat Dr. Koehl, nachdem die Koehlstraße benannt ist.

6.) Ludwig Leonhardt aus Dorn-Dürkheim war Matrosenartillerist in der Matrosenartillerieabteilung Kiautschou. Er war als Gefangener in den Lagern Kumamoto, Oita und Narashino.

7.) Adolf Lukas aus Gimbsheim war Obermatrosenartillerist in der 4. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou. Er war Kriegsgefangener in den Lagern Fukuoka, Oita und Narashino.

8.) Georg Roth war Matrosenartillerist in der 3. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou. In Gefangenschaft war er in den Lagern Osaka, Tokushima und Bando.

9.) Johann Sauer aus Hamm war Matrosenartillerist in der 4. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou. Wie Georg Roth war auch er in den Lagern Osaka, Tokushima und Bando untergebracht.

10.) Georg Schall war Seesoldat in der Maschinengewehrkompanie des III. Seebataillons. Er war der einzige Wormser, der in Tsingtau gefallen ist. Besonders tragisch, er starb wenige Stunden vor der Kapitulation am 7.11.1914. Er wurde noch in Tsingtau bestattet.

11.) Peter Schimmel aus Pfiffligheim dürfte ein erfahrener Seemann gewesen sein, als er sich bei Kriegsbeginn in Tsingtau zum Waffendienst meldete. Er war bereits 34 Jahre alt. Er wurde als Matrosenartillerist der Seewehr II, 5. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou zugeteilt. Gefangener in den Lagern Osaka, Tokoshima und Bando.

12.) Hermann Soldern aus Worms-Horchheim war Obermatrosenartillerist in der 4. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou. Er war Gefangener in den Lagern Kumamotu und Kurume.

13.) Heinrich Billau aus Nordheim war Gefreiter in der 3. Kompanie des Seebataillons. Gefangener im Lager Kurume. Späterer Wohnort: Worms

14.) Fritz Lorentz aus Gauersheim war Matrosenartillerist in der 3. Kompanie der Matrosenartillerie-Abteilung Kiautschou. Er war Gefangener in den Lagern Osaka, Tokoshima und Bando. Späterer Wohnort: Worms

15.) Georg Böhm aus Dittelsheim Hessloch. Über ihn gibt es keine weiteren Informationen.

16.) Johann Breth aus Kettenheim war Seesoldat in der 1. Kompanie des Ostasiatischen Marine-Detachements und wurde bei Kampfhandlungen schwer verwundet. Er kam in englische Gefangenschaft. Lageraufenthalte in Hongkong und in Australien. Entlassung bereits im März 1919.

17.) Hans Brochhagen hatte um 1955/60 seinen Wohnsitz in Worms. Auch zu ihm gibt es keine weiteren Informationen.

Über 5 Jahre Gefangenschaft am „anderen Ende der Welt“ waren für die Wormser Marinesoldaten sicherlich eine harte Geduldsprobe. Aber im Vergleich zu den englischen Gefangenen, die fast 30 Jahre später im thailändischen Dschungel für die Japaner die Brücke am Kwai errichten mussten, ging es ihnen gar nicht so schlecht, denn es gab keine Zwangsarbeit und es musste niemand hungern.

Worms, im März 2013
Norbert Falkenhage

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