Jedes Weinland hat eine bestimmte Lebensart, die sich in bestimmten Symbolen ausdrückt. Im größten deutschen Weinanbaugebiet Rheinhessen mit der berühmten Liebfrauenmilch aus Worms hat man das höchste Geschmackserlebnis, wenn man die edlen Gewächse in kleinen Mengen mit einem entsprechenden Glas genießt.
Unter den Trinkgefäßen kennt man bei den Weingläsern und auch bei den Biergläsern regionale Unterschiede. Die bekannten Schankgefäße für Wein haben im Allgemeinen folgende Inhalte:
* Der Schoppen mit 0,5 Liter, später auch 0,4 Liter
* Der halbe Schoppen/Halwe mit 0,25 Liter, später auch 0,2 Liter
* Das Piffchen/Piffche mit 0,1 Liter
Grundsätzlich kann man annehmen: Je kleiner das Glas, umso höher die Qualität des Weines.
In den meisten Weinanbaugebieten kennt man ein Schankgefäß mit 0,1 Liter nur als Probierglas. In Rheinhessen und auch im Rheingau kennt man dieses Maß auch als Trinkglas. Bei dem größten Volks- und Weinfest am Rhein, dem Wormser Backfischfest, wird aus Tradition nur aus kleinen Gläschen getrunken. Zwei Wochen später auf dem Bad Dürkheimer Wurstmarkt sitzt man vor dem Dubbeglas mit 0,5 Liter. Die Schwaben in Stuttgart kennen nur ihr Viertele mit 0,25 Liter im Trollingerglas und akzeptieren etwas verächtlich 0,1 Liter nur als Versucherle bzw. als Zehnteles.
Warum das Piffche so heißt ist ungeklärt. Man trinkt daraus mit einem Kussmund Schlückchen für Schlückchen und weiß sofort, ob das der Richtige für seinen Geschmack ist oder auch nicht. Mehr braucht man nicht, um sich selbst zu testen. Wer jedoch einen Schoppen mit großen Sprüchen benötigt und noch einen zweiten dazu, weiß am nächsten Tag nicht mehr wie er nach Hause gekommen ist und was er getrunken hat. Die Menge macht es nicht. Das wäre eher Sauf- statt Weinkultur. Das Piffche ist für stille Genießer gedacht und nicht für Saufhelden. Wer sich mit dem Thema, welcher Wein in welches Glas gehört, befassen will, stößt allerdings auf unterschiedliche Meinungen, weil jede Region auf seine Besonderheit stolz ist und diese aus Traditionsgründen erhalten will.
Das rheinhessische Piffche erfüllt alle wichtigen Kriterien für ein richtiges Weinglas:
* farblos, weil man mit dem Auge die Klarheit prüft
* dünnwandig, weil man die Weintemperatur besser spürt
* mit Stiel, weil man die Handwärme am Kelch vermeidet
* das kleine Glas mit wenig Wein bringt Sauerstoff zur Entfaltung von Duft und Geschmack
Das Gourmetglas "Kabinett", unser rheinhessisches "Piffche", ist bis 2001 von der Firma Schott-Zwiesel-Glaswerke AG hergestellt worden. Nach der Unternehmensübernahme 2001 und der Umbenennung in Zwiesel Kristallglas 2005, erfolgte eine Reduzierung des Sortiments, sodass das schöne Glas heute leider nicht mehr hergestellt wird und als historisch gelten kann. Mit einem solchen Schankgefäß wird genossen und nicht getrunken. Die Form des Glases ist sehr ansprechend, sodass unweigerlich auf den Inhalt geschlossen werden kann. Mit der gleichen Menge werden traditionell alle Weine im Wonnegauer Weinkeller beim Backfischfest ausgeschenkt. Dort wird den Besuchern schließlich den größten Probierkeller und keine Trinkhalle aufgebaut.
Der Autor erhielt als Kunde von Andreas Huppert in Gundersheim noch einige der letzten Gläschen aus Zwiesel beim Einkauf eines Wein-Sortiments zur Feier seines runden Geburtstages in Augsburg. Damals wurden den Gästen natürlich rheinhessischer Wein geboten mit Bezug zur alten Heimat und der familiären Herkunft Ibersheim. Andreas Huppert, der Weinbautechniker, hat nämlich auch verwandtschaftliche Beziehungen zu Ibersheim. Von dort stammt seine väterliche Großmutter aus dem Schäfer-Hof mit den letzten Ibersheimer Weinbergen, nach 1200 Jahren.
Was ist das Beste was Worms an Wein zu bieten hat?
- Liebfrauenstift-Kirchenstück Riesling Auslese. Wenn das einem ehemaligen Wormser nach Augsburg als Geschenk mitgebracht wird, ist nicht nur die Freude besonders groß, man weiß den Symbolwert auch zu schätzen. Danach muss überlegt werden, wann und in welchem Rahmen diese Kostbarkeit stilvoll genossen wird. - Wahrscheinlich im Drehrestaurant auf dem hohen Mannheimer Fernmeldeturm mit Blick in die Weingebiete von Rheinhessen, Pfalz und Hessen, um zu erkennen, dass man mitten in einem gesegneten Land leben darf.
Im Wonnegauer Weinkeller auf dem Backfischfest werden ca. 400 verschiedene Weine von den Winzern der Umgebung angeboten. Im Grunde ist das eine fröhliche Probierstube, in der man sich zu seinem Geschmack das Passende auswählen und danach einkaufen kann. Nur etwas mehr als 30 km weiter in der Pfalz, beim größten Weinfest in Bad Dürkheim, ist man stolz auf die großen Mengen, die dort "getrunken" werden. Früher gab es dort auch sogenannte Saufweine. Der Rheinhesse merkt daran, dass er nicht nur im größten deutschen Weinanbaugebiet lebt, sondern auch etwas mehr Weinkultur mitbekommt. Hier ist Vielfalt, Qualität und Ambiente wichtig, während in der nahen Pfalz anscheinend eher die Fässer für den neuen Jahrgang mit großen Gläsern geleert werden müssen. Wenn man noch einen Vergleich zum Mainzer Weinmarkt zieht, dann gehört zum Wein auch noch Kultur dazu. Dem kommen die Wormser als Rheinhessen eher nach. Sie lassen dann gerne den Pfälzern den hohen Weinkonsum und den Münchnern den hohen Bierkonsum zum Angeben. Klein und fein ist im Wonnegau eher die Devise. Hier kann man immer die Vielfalt der Weinkultur mit allen Sinnen genießen, ohne dabei lautstark und schunkelnd heiter bleiben zu müssen.
Mit dem ersten Wein-Kontakt erlangt der spätere Weintrinker seine Geschmacksprägung. Das ist biologisch bedingt. Deshalb kommen auch die Rheinlachse immer wieder an ihren Ursprung zurück. Im Normalfall bedeutet das, einmal rheinhessischer Wein, immer rheinhessischer Wein, geprägt durch seine Lieblichkeit. Der Autor kennt als Hobby-Historiker seinen Heimatort Ibersheim mit 1200-jähriger Weintradition. Bei den 27 Schenkungen an das Kloster Lorsch zwischen 767 bis 829 wurden insgesamt 20 Weinberge übergeben. Zum Vergleich ist Gundersheim seit der ersten Schenkung von 769 mit einem Weinberg immer noch ein bekannter Weinort, weil man später die Reben wegen der besseren Sonneneinstrahlung an den Abhängen anpflanzte.
Ein Beitrag von Edmund Ritscher, Mannheim (Juli 2013)