Kommen Sie mit, auf einen kleinen Rundweg durch die lokale Demokratiegeschichte. Anhand von neun Stationen erfahren Sie, was die Wormser zwischen der Französischen Revolution und der Revolution von 1848/49 bewegte.
Demokratie hat Geschichte. Hier in Worms beginnt diese Geschichte nicht wie anderswo in Deutschland im 19. Jahrhundert, sondern früher.
Debattiert und gestritten wurde in Worms schon immer gern und viel. Bereits in der alten Reichsstadt wurden viele Interessensgegensätze und Meinungsverschiedenheiten wortreich zwischen Bürgerschaft, Zünften und Rat sowie zwischen Bischof und Stadt ausgetragen.
Am Ende der reichsstädtischen Zeit war sogar von einer republikanischen Verfassung die Rede, unter der man in Worms lebe. Eine Demokratie war das allerdings nicht.
Dazu fehlte nicht nur die Möglichkeit zur Wahl der politischen Repräsentanten, sondern vor allem: die Gleichheit. Die Idee der Gleichheit kam erst mit der Französischen Revolution in die Stadt.
Der Ausbruch der Französischen Revolution im nur 500 Kilometer entfernten Paris wurde auch in Worms über Zeitungen und Flugblätter schnell bekannt. Mit der Aufnahme des Prinzen Condé und anderer emigrierter französischer Adliger 1791 im Bischofspalais in Worms wurde die alte Reichsstadt direkt in die revolutionären Ereignisse hineingezogen. Die Angst vor Reaktionen aus Frankreich, aber auch das oft arrogante Auftreten der französischen Aristokraten führte zu Unmut in der Bevölkerung. Dieser äußerte sich im Mai 1791 in einer Sympathiebekundung für einen revolutionsfreundlichen Adligen vor dem Bischofsschloss.
Im Oktober 1792 wurde Worms von der französischen Armee besetzt und für sieben Monate Teil der "Mainzer Republik". Mit der Gründung eines Wormser Jakobinerklubs am 12. November 1792 im Bischofsschloss unterstützten Wormser Bürger das von der französischen Besatzung vorgegebene Ziel der Revolutionierung der besetzten linksrheinischen Gebiete. Allerdings blieb die Unterstützung des Klubs in Worms gering. Auch die Wahlen zu einem neuen Stadtvorstand und zum Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent in Mainz wurden nur unter Druck und mit geringer Beteiligung vollzogen.
Nach dem Abzug der Franzosen und dem Einzug der Preußen Ende März 1793 mussten die Wormser Revolutionsanhänger das Bischofsschloss reinigen und waren Misshandlungen ausgesetzt. Als Symbol der Gegenrevolution wurde das Schloss 1794 von französischen Soldaten zerstört. Im Januar 1798 wurde Worms für 15 Jahre Teil Frankreichs. Die Folgen dieser Zeit verschafften der Stadt und der Region aber auch viele Vorteile, wie die Einführung der Rechtsgleichheit, der Gewerbefreiheit und der Gewaltentrennung.
Worms in der hessischen Zeit
Wenn auch der Fortbestand der französischen Rechtsinstitutionen der Bevölkerung der neuen linksrheinischen Provinz Rheinhessen 1816 bei der Eingliederung in das Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugesichert wurde, blieb man der neuen Regierung in Darmstadt gegenüber wachsam. Versuche, die Zivilprozessordnung zu ändern, stießen in den 1820er-Jahren auf heftigen Widerstand.
Mit der Einrichtung der vier rheinhessischen Kreise und der Kreisräte 1835 wurde die Kontrolle der Gemeinden und der Bevölkerung intensiviert. Das Wormser Kreisamt wurde im "Bettendorfhof" an der Andreasstraße eingerichtet.
Am Hambacher Fest 1832 nahmen etliche Wormser teil. Auch dass die deutsch-katholische Bewegung in Worms eine ihrer Hochburgen hatte, spricht für eine aufgeschlossene und kritische Bevölkerung. Teuerungskrisen verschlechterten die soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten, was 1832 oder 1845/46 zu regelrechten Brotrevolten führen konnte. Es wuchs die Überzeugung, dass nur grundlegende Veränderungen zur Verbesserung der Verhältnisse führen konnten.
Vereine und Gesellschaften
Mit den ersten freiwilligen Zusammenschlüssen schuf sich das aufstrebende Bürgertum seit dem späten 18. Jahrhundert Möglichkeiten zum geselligen Zusammensein, zum Austausch von Informationen jeglicher Art, aber auch zum politischen Räsonieren. So wies bereits die stände- und konfessionsübergreifende Zusammensetzung der ersten Lesegesellschaft, die in Worms 1783 gegründet wurde, über die Begrenzungen der alten Reichsstadt hinaus. Hier trafen sich Gruppen, die im sozialen und stadtpolitischen Alltag bislang wenig Berührungspunkte hatten und auf verschiedenen Ebenen in teilweise uralte und erhebliche Konflikte miteinander verstrickt waren.
Aus der Lesegesellschaft entstand später die Vereinigte Kasino- und Musikgesellschaft, die zwischen 1837 und 1847 im Wambolder Hof ihr Domizil hatte. Etliche politische Akteure sowohl der französischen Zeit als auch der Revolution von 1848 waren Mitglieder der Lese- / Kasinogesellschaft.
War die Kasinogesellschaft ein bürgerlicher Verein, so fanden breite Bevölkerungsschichten ab 1846 Gelegenheit zur Geselligkeit im neu gegründeten Turnverein. Von Anfang an auch politisch orientiert, zählten die Turner in der Revolutionszeit zu den stärksten Unterstützern der demokratischen Bewegung.
März 1848
Die Reaktion auf die Nachricht von der Revolution in Frankreich im Frühjahr 1848 ließ nicht lange auf sich warten. Proteste und Petitionen, die insbesondere aus Rheinhessen kamen und wie andernorts auch in Worms von einem neu gebildeten Bürgerkomitee verfasst wurden, führten bereits in der ersten Märzwoche zur Entlassung du Thils und zur Ernennung des Liberalen Heinrich von Gagern aus Monsheim, der bisher Oppositionsführer in der 2. Landtagskammer gewesen war, zum leitenden Minister.
Mit dem Edikt vom 6. März wurden Presse- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Petitionsrecht eingeführt, das Polizeistrafrecht abgeschafft und die rheinhessischen Institutionen bis zur Einführung einer deutschen Gesetzgebung garantiert. Damit waren die wesentlichen Forderungen der Liberalen erfüllt. Eine feierliche Umsetzung einer der Reformen des Ediktes wurde am 8. März in Worms auf dem Paradeplatz vollzogen: die Vereidigung des hessischen Regiments auf die Verfassung. Zugleich wurde eine Bürgerwehr gebildet, die die erreichten Zugeständnisse gegen Feinde "von außen und innen" verteidigen sollte.
Sitzungen des Gemeinderates, des Bürgerkomitees und des Wehrrates wurden öffentlich abgehalten und waren gut besucht. Durch den feierlichen Empfang, den sie dem Erbgroßherzog und dem Minister von Gagern am 23. März bei ihrem Besuch in ihrer Stadt bereiteten, drückten viele Wormser ihre Zufriedenheit mit den politischen Neuerungen aus.
Liberale und Demokraten
Die Einigkeit über das Erreichte und die weitere politische Entwicklung blieb nicht lange bestehen. Wie überall in Deutschland und in Hessen trennte sich auch in Worms die Bewegung in Liberale und Demokraten. Die Liberalen sahen ihre Ziele in der Stärkung der Parlamente, der Weiterentwicklung der Verfassungen, der Einrichtung einer Nationalversammlung im Deutschen Bund sowie in der Garantierung individueller, wirtschaftlicher und politischer Freiheitsrechte. Die Demokraten setzten darüber hinaus auf einen stärkeren sozialen Ausgleich und ein kompromissloseres Auftreten gegenüber den monarchischen Regierungen. Sie strebten letztlich die Republik an.
Bereits am 2. April war es durch die Einberufung einer Volksversammlung und der Diskussion der Frage, ob der Gemeinderat noch den Volkswillen vertrete, zu einer Spaltung im Bürgerkomitee gekommen. Die Debatte über den Wahlmodus zur Nationalversammlung verstärkte die Trennlinien. Die Entscheidung in Darmstadt für eine indirekte Wahl löste in Rheinhessen erhebliche Proteste aus.
Die Parteienbildung spiegelt sich auch im Pressewesen. Während die "Wormser Zeitung" unter ihrem Herausgeber und Redakteur Kranzbühler liberal-konstitutionell gesinnt war, stellte sich die Mitte März von dem Arzt Ferdinand von Loehr gegründete "Neue Zeit" spätestens nach der Entscheidung für die indirekte Wahl gegen Gagern und entwickelte sich zum Organ der Demokraten.
Mit der Gründung eines "Demokratischen Vereins" und eines liberalen "Bürgervereins" im Juni verfestigten sich die Parteistrukturen.
Die Nationalversammlung
Von Anfang an gehörte die Einberufung eines nationalen Parlaments und letztlich die Schaffung eines konstitutionell verfassten und aus Bundesstaaten bestehenden Nationalstaates zu den vorrangigen Revolutionszielen. Im Mai wurde die Nationalversammlung, die in der Frankfurter Paulskirche tagen sollte, gewählt. Die Urwahl, bei der die Wahlmänner gewählt wurden, fand von 1. bis 3. Mai statt, die Abgeordnetenwahl am 17. Mai. Wahllokal war die Dreifaltigkeitskirche.
Im Wahlbezirk Worms war Heinrich von Gagern Kandidat der Liberalen. Kandidat der Demokraten war Dr. Martin Mohr aus Ingelheim. Nachdem Gagern bereits einige Tage zuvor in Zwingenberg gewählt worden war und die Wahl dort angenommen hatte, schlug er als Ersatzkandidaten Eduard Lehne vor. Mohr gewann mit 145 zu 123 Stimmen. In der Paulskirche zählte Mohr zur linken "Donnersberg-Gruppe". Nachdem die Demokratischen Vereine im Streit um die Rolle eines "Reichsverwesers", der dem Parlament nicht verantwortlich sein sollte, der Nationalversammlung die weitere Anerkennung verweigerten, forderten die Wormser Konstitutionellen im Juni 1848 vergeblich den Rücktritt Mohrs, der das Manifest allerdings gar nicht unterschrieben hatte.
Septemberunruhen
Der Abschluss des Waffenstillstands von Malmö, der eine Kompromisslösung in der Schleswig-Holstein-Frage zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark vorsah, führte der revolutionären Bewegung Ende August ihre Machtlosigkeit vor Augen. Die ungeteilte Zugehörigkeit Schleswigs zu Deutschland wurde zu einem grundlegenden nationalen Interesse hochstilisiert. Nachdem die Nationalversammlung diesen Vertrag nach langen Diskussionen im September anerkannt hatte, kam es nach einer Volksversammlung in Frankfurt am 18. September zum Aufstand, in dessen Verlauf zwei Abgeordnete der rechten Fraktionen ermordet wurden. Die Unruhen griffen auch auf Rheinhessen über, auch wenn sie hier nicht die gleiche Vehemenz erreichten.
In Worms wurde mit roten Fahnen und Kokarden auf der Straße demonstriert und die Republik öffentlich gefordert. In der Folge wurde preußisches Militär in Worms einquartiert, das die Ordnung wahren sollte. In den Unruhen machte sich auch die Frustration über die schleppende Entwicklung breit. Während das Reformprogramm vom März einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr ausreichte, hatten die Reformministerien Probleme, selbst diese Zugeständnisse gegenüber den Fürsten durchzusetzen.
Bürgermeisterwahlen
In den Parlamenten und in der politischen Öffentlichkeit stritten Liberale und Demokraten hingegen weiter über die Reichweite der Veränderungen. In Worms sorgten die anstehenden Bürgermeisterwahlen im Dezember für weitere Polarisierung. Aus der Wahl im Januar 1849 gingen die Kandidaten der Demokraten eindeutig als Sieger hervor. Ludwig Blenker, Philipp Bandel und Ferdinand Eberstadt erzielten die meisten Stimmen.
Im Februar wurde der Kaufmann Eberstadt, der zwar weniger Stimmen hatte, aber als geeigneter angesehen wurde, von der Regierung zum Bürgermeister ernannt. Damit hatte Worms einen demokratisch gesinnten Bürgermeister, zudem den wahrscheinlich ersten Bürgermeister jüdischen Glaubens in Deutschland. Seine Amtszeit ist zwar von deutlicher Positionierung auf der Seite der demokratischen Bewegung, aber oft genug auch von parteiübergreifender Neutralität gekennzeichnet. Von liberaler Seite aus eher misstrauisch beargwöhnt, von Regierungsseite nach dem Ende der Revolution zeitweise suspendiert, konnte er sich dennoch bis 1852 in seinem Amt halten.
Freischärler
Nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 die Kaiserwürde und damit letztlich auch die Reichsverfassung abgelehnt hatte, setzte eine Massenbewegung zugunsten der Reichsverfassung ein. Etliche kleinere Staaten, darunter Hessen-Darmstadt, hatten – anders als Preußen – die Reichsverfassung anerkannt. In der Pfalz bildete sich ein "Landesverteidigungsausschuss", der solange bestehen bleiben wollte, bis die bayrische Regierung die Verfassung anerkennen würde.
In einer Bürgerversammlung vor dem Stadthaus am 5. Mai bekannten sich die Wormser einschließlich des Stadtvorstandes und des Gemeinderates zur Reichsverfassung. Als der pfälzische Landesverteidigungsausschuss um Hilfe gegen die bayrischen Truppen bat, zog die Wormser Bürgerwehr am 9. Mai unter der Leitung von Ludwig Blenker mit Gewehren und Sensen bewaffnet nach Ludwigshafen, wo sie den Brückenkopf im Sturm einnahmen.
Blenker entwickelte sich zu einem wichtigen Kommandeur im pfälzischen Aufstand. Auch Ferdinand von Loehr, der Herausgeber der "Neuen Zeit", übernahm militärische Führungsfunktionen im badisch-pfälzischen Aufstand. Der Einmarsch preußischer Truppen in Worms, schließlich auch in Baden und der Pfalz beendete diese letzte Phase der Revolution. Mit der Flucht in die Schweiz und schließlich nach Amerika entzogen sich Loehr und Blenker der Strafverfolgung wegen Hochverrats. Aber auch alle 31 Wormser Angeklagten im Mainzer Hochverratsprozess wurden schließlich freigesprochen, weil ihr Engagement letztlich der Durchsetzung der von der hessischen Regierung anerkannten Reichsverfassung gegolten hatte.
Die Revolution scheiterte an der Uneinigkeit der Bewegung, den unterschiedlichen Zielen und an der Reformunwilligkeit der monarchischen Regierungen. Mit ihrem Ende wurden auch die neuen Möglichkeiten politischer Kommunikation wieder eingeschränkt, Vereine und Parteien verboten, Versammlungen untersagt. Die nationale Einigung, eines der Hauptziele der Revolution, kam 1871. Die Demokratie, die gerade in Worms und Rheinhessen von vielen gefordert wurde, ließ noch weitere 47 Jahre auf sich warten.
Wenn auch in Worms und andernorts die Wurzeln der Demokratie weiter zurückreichen als bis 1848/49, so waren es doch die Männer und Frauen dieser Jahre, auf die sich die demokratischen Neuanfänge nach 1918 und nach 1945 immer wieder beziehen konnten.
Quelle: Broschüre "Rundweg Demokratie";
Text (hier in Auszügen): Dr. Gunter Mahlerwein
Wer die einzelnen Stationen gerne besuchen möchte: Die Broschüre zum "Rundweg Demokratie" ist bei der Tourist Info Worms erhältlich.
Entstanden ist der Rundweg im Rahmen der Themenkampagne "Geist der Freiheit".