"Eierkischt" und Hermann - zwei Wormser "Originale"
"Eierkischt" und Hermann - zwei Wormser "Originale"

"Eierkischt" und "Holzbein-Paule"

Lesen Sie von Hermann M. und der "Eierkischt", vom Holzbein-Paule, vom "A net schää", der "Wachskerz" und den Gebrüdern S. Alle Namen wurden von der Redaktion geändert

"Eierkischt" und Hermann - zwei Wormser "Originale"
"Eierkischt" und Hermann - zwei Wormser "Originale"
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv Worms, M26782

Hermann M. und die Eierkischt

Hermann war ein Original aus dem Vorort Heppenheim. Soviel ich erfahren habe, sollen sich die Eheleute M. trickreich durchs Leben geschlagen haben. Zur Zeit der Obsternte hat es in den Heppenheimer Streuobstwiesen in den Nächten oft gespukt. Ein weißgekleidetes Gespenst irrte stöhnend zwischen den Obstbäumen umher. Als die Besitzer der Sache auf den Grund gingen, trafen sie die Eheleute M. an. Während Hermann, ein Bettlaken schwenkend, die Aufmerksamkeit auf sich zog, füllte seine Frau die mitgebrachten Körbe mit Äpfeln und Birnen. Den Ertrag der gespenstischen Aktion verkaufte das Ehepaar am nächsten Tag auf dem Wormser Wochenmarkt.

Ich lernte den "Hermann" kennen, als er den Tod seiner Frau meldete. Er tat dies mit tränenerstickter Stimme. Aber als ich teilnehmend auf ihn einging und ihm kondolierte, schlug seine Stimmung plötzlich um und Hermann äußerte sich: "Die kennt nochemol verecke, die alt Sau, die hot mich ach als gschlaae (geschlagen)!"

Nach dem Tod seiner Frau lebte Hermann zusammen mit der Eierkischt in einem winzigen, uralten Häuschen am Ende der Schillerturm- oder Badegasse im Ortsteil Herrnsheim. Hermann gab bei seinen Vorsprachen gerne und gestenreich seine Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges zum Besten.

Um 1960 wollten wir in Vorbereitung eines Betriebsausfluges die Geschichten auf einem Tonband festhalten. Wir fuhren nach Herrnsheim und trafen die beiden in dem einzigen, rußgeschwärzten, verschmutzten Raum des Häuschens auf einem vermüllten Grundstück an. Wir trugen unser Anliegen vor und erhielten die Zustimmung zu einer Tonbandaufnahme. Aber zu unserer Überraschung fanden wir keine Steckdose. Das Grundstück verfügte nämlich über keinen Stromanschluss; die Beleuchtung erfolgte mittels Kerzen und einer Petroleumlampe. Unverrichteter Dinge mussten wir uns verabschieden, vereinbarten aber für den nächsten Tag einen Termin.

Tatsächlich erschienen der "Hermann" und die "Eierkischt" am nächsten Tag und wir bekamen unsere Tonbandaufnahme. Hermann schwelgte in Erinnerungen und brüstete sich seiner "Kriesgserlebnisse". Davon sind mir noch folgende seiner Aussagen in Erinnerung, die jedoch ihre besondere Färbung verloren haben, weil ich den Originalton des "Hebbrumer" Dialekts ins Hochdeutsche übertragen musste:

"Im Ersten Weltkrieg war ich zuerst bei der Infanterie und später beim Leibregiment des Großherzogs in Darmstadt. (Hermann Mitsch war ein überdurchschnittlich langer Mensch) Wenn ich nur zwei Zentimeter größer gewesen wäre, wäre ich zum Leibregiment des Kaisers nach Berlin gekommen. – Ich war linker Flügelmann und die ganze Kompanie hat an mir gehangen. – Ich war auch immer bester Schütze des Regiments."

"Später sind wir nach Frankreich gezogen; Belgien und Luxemburg haben wir links liegen gelassen. Gekämpft habe ich in Arras und Lille. In Verdun (Hermann sagte "Ferdun") lag ich im Schützengraben, als zwei gesattelte Gäule über mich weggesprungen sind. Wir sind dann mit aufgepflanztem Bajonett in die Schützengräben der Franzosen und haben sie alle aufgespießt."

"Ein anderes Mal habe ich alle Russen in einer Scheuer gefangen; 10.000 Russen in einer Scheuer. Ich habe mich vor die Scheuer hingestellt und habe kommandiert: 'Ich bin der Hermann und jetzt kommt alle raus oder ich stecke die Scheuer an'. Dann sie sie rausgekommen, wir haben sie gefangen genommen und ich habe einen Orden bekommen."

Noch weitere Erlebnisse berichtet Hermann, die ich allerdings vergessen habe. Ein Höhepunkt des Nachmittags war, als Hermann und Frau einige Lieder sangen, darunter den bekannten Schlager: "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren…"

Erinnerungen von Manfred Baumann, Februar 2013

Die "Fraa Aaijerkischt" und andere Kurzgeschichten

Die Fraa Eierkischt und die schepp Kett

Auch ich möchte eine Anekdote aus meiner Jugendzeit (1941) und auf der Mainzer Strasse 77 aufgewachsen beitragen. Ich kannte eine Frau die auch in dieser Gegend gewohnt haben musste, die wir immer mit Ihrem Spitznamen "Aaijerkischt" (Eierkiste) gerufen hatten. Es wurde dann polizeilich verboten.


In einer Neujahrsnacht legte man ihr einen Kanonenschlag in ihre Tasche, die Sie immer bei sich trug. Es muss einen furchtbaren Knall gegeben haben und darauf lief sie in das nahe gelegene Polizeirevier in der Mainzer Straße und wollte sich beschweren. Mein stets freundlicher Vater, der gerade Dienst hatte, begrüßte Sie mit den Worten "Na, Aaijerkischt, was gibt`s". Da war die Aufregung groß. Mein Vater hatte Sie dann wieder schnell beruhigt. Ihre Tasche und das Geschirr, das sich darin befand, war kaputt.

Eine Ergänzung von Elke Schilling-Laubmeister, Schweiz:

„Fraa Aaijerkischt“ war geistig wohl etwas zurückgeblieben und die „schepp Kett“ hatte eine stark auffallende körperliche Beeinträchtigung, da sie sich O-füssig fortbewegte und man sich wunderte, dass sie immer noch die Kontrolle über ihre Beine und Füße behielt und nicht stolperte.
Kinder können recht grausam sein, wenn sie eine Anomalie feststellen.

So war es auch damals, wobei zu sagen ist, dass die „schepp Kett“ nur ihren Übernamen ertragen musste, während es mit der „Aaijerkischt“ ganz andere Ausmaße annahm. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich jeweils die Nachricht, wenn die „Aaijerkischt“ unterwegs war. Da sich diese Frau auch noch entsprechend verhielt, liefen ihr die Kinder scharenweise, lauthals „Aaijerkischt“ brüllend, hinterher. Sie war wirklich ein armes Menschenkind, wenn ich heute darüber nachdenke.

Nachträglich bin ich froh, dass mir meine Mutter verboten hatte, wenn ich eine solche Szene wieder einmal erleben sollte, mich daran zu beteiligen. Schlimm war halt, dass diese Frau mit ihrem Benehmen auch stets dazu beitrug, irgendwie die Meute auf sich aufmerksam zu machen.
Ist ihr das dann gelungen, geriet sie verständlicherweise in Panik.
Stets war sie mit ihrer Tasche kreuz und quer durch Worms unterwegs und somit stadtbekannt.

Erinnerung von P. Binnefeld, Limburgerhof:

ie wurde tatsächlich, wo immer sie auftauchte, mit diesem Namen gehänselt. Als ich mit meiner Mutter in der in Worms noch verkehrenden "Elektrisch" (Anmerkung der Redaktion: "Straßenbahn") fuhr, hatten sich alle Fahrgäste plötzlich die Nase an den Straßenbahnfenstern plattgedrückt, als die "Eierkischt", wieder provoziert, am Rheintorplatz zornentbrannt mit dem Inhalt ihrer Taschen um sich warf. Ich kann mich noch an eine Bürste erinnern, welche durch die Luft flog.

Der Polizist, der seiner Frau einen Strafzettel ausstellte:

Ich weis auch von meinem Vater, dass es früher in Worms einen Polizisten gab mit dem Namen Pfützenmann*. Als seine Frau mit dem Rad falsch herum in einer Einbahnstraße fuhr, gab er ihr einen Strafzettel. Ein Kollege sagte zu ihm "das kannst du doch nicht machen das ist doch Deine Frau". Da gab er zur Antwort " Jeder macht seins". So entstand das geflügelte Sprichwort (auch bei uns zu Hause). "Jeder macht seins", sagte der Pfützenmann und gab seiner Frau ein Protokoll.

* Name von der Redaktion geändert

Die vergessenen Fahrgäste der "Elektrisch"

Straßenbahn nach Pfiffligheim
Straßenbahn nach Pfiffligheim
© Fotograf: Quelle: Stadtarchiv

1946 ist meine Mutter mit uns Kindern nach Pfiffligheim in die Landgrafenstr. 68 gezogen. In der Landgrafenstr. war auch eine Endstation der Straßenbahn mit Ausweichgleis. Auf diesem Ausweichgleis wurde der Anhänger der Straßenbahn abgestellt und beim Abfahren nach Worms wieder angehängt.
So mancher Fahrer hatte den Anhänger samt Fahrgästen einfach vergessen und ist weiter nach Worms gefahren. Da war der Ärger groß.

Auch als Kinder sind wir oft auf dem Trittbrett der Straßenbahn eine Weile mitgefahren und dann abgesprungen. Manches mal wurde auch die Tür von innen aufgemacht und dann setzte es eine Ohrfeige. Trotzdem hatten wir Kinder, obwohl es sehr gefährlich war, unseren Spaß. Die Straßenbahn fuhr ja noch nicht so schnell wie heute!

Erinnerungen von Karola Kleinknecht, heute Marbach am Neckar

Brezeln von der "Wachskerz"

Die "Wachskerz" zählte zweifellos auch zu den Wormser Originalen. Ihren Uznamen "Wachskerz'" hatte die spindeldürre Frau von ihrer fahlen Gesichtsfarbe. Sie wohnte mit ihrer körperbehinderten, auf einen Rollstuhl angewiesenen alten Mutter in der Nähe der Synagoge.

Zu ihrem Lebensunterhalt trug sie durch den Verkauf von Brezeln bei. Sonntags stand sie mit ihrem Brezelkorb an der Rheinpromenade vor dem Rheincafe und werktags oft vor dem Bahnhof; neben ihr im Rollstuhl die alte Mutter. Ich habe nicht gerne bei der "Wachskerz'" eine Brezel gekauft, denn mit ihren mit Binden verbundenen Händen war sie mir nicht "appetitlich" genug.

Erinnerungen von Manfred Baumann, Februar 2013

"a-net-schää"

In den 40iger und 50iger Jahren lebte das Original "a-net-schää" im Wormser Westend. Ich weiß nur wenig über ihn; Familiename und Wohnort sind mir unbekannt. Er muss entweder in "Kiautschau" oder in Neuhausen gewohnt haben. Ob er einer Beschäftigung nachging, weiß ich nicht.

"a net schää" war (nach meiner Erinnerung) ein älterer kleiner Mann mit einem hinkenden Gang und einem Sprachfehler. Seinen Uznamen hatte er, wenn ich mich recht erinnere, davon, dass er beim Gehen gerne halblaut "a-net-schää" (auch nicht schön) vor sich hinmurmelte.

"a net schää" ließ sich gerne auf ein Bier einladen und musste dann nicht lange gebeten werden, bis er sein Lieblingslied sang: "In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee…"

Refrain des Liedes von Ernst Neubach (Text) und Fred Raymond (Melodie). Besonders belustigend wirkte die Darbietung durch seinen Sprachfehler und erreichte ihren Höhepunkt bei dem lautstark und theatralisch vorgetragenen Liedteil: "….und das elektrische Klavier, das klimpert leise…….."

Erinnerungen von Manfred Baumann, Februar 2013

Der Holzbein-Paule

Im Wormser Norden (später im Bereich Boosstraße) lebte in ärmlichen Verhältnissen Paule, ein einfacher gutmütiger alter Mann mit einem "Holzbein". Wenn es stimmt, soll er in jungen Jahren bei den "Freien Turnern" ein wahres Laufwunder gewesen sein. Bei Wettbewerben soll Paule allerdings nicht eingesetzt worden sein, weil es für ihn schwierig war, Regeln zu beachten. Schickte man ihn an der Ziellinie los, soll er der Konkurrenz stets davon gelaufen sein und zwar solange, bis man ihm Einhalt gebot.

Paule konnte sich sprachlich nur schwer ausdrücken und sprach sein Gegenüber, gleich welchen Geschlechts, gerne mit "Großmutter" an. Wohl in der Nachkriegszeit verlor er bei einem Unfall sein Bein und bezog seitdem eine kleine Unfallrente. Fragte man ihn nach seinen Einkommen, antwortete er: "Rende vun de Speyer un vun de Annernacht" (Rente von Speyer –LVA Rheinland-Pfalz- und von Andernach –Gemeindeunfall-Versicherungsverband).

Warum er eine "Umfallrente" bezog, begründete er so: "Ich Umfall hadde; Boam um, Boa ab" (Ich hatte einen Unfall: Baum fiel um, Bein war ab).

Erinnerungen von Manfred Baumann, Februar 2013

Erinnerung dazu von P. Binnefeld, Limburgerhof 2018:

Einen oder mehrere Auftritte von ihm bei einer Behörde habe ich selbst mit bekommen. Man nannte ihn auch "Schnellläufer" oder ob seiner Sprachbehinderung "Udde-Adde". Seine Geschichte von der "Umfallversicherung" und der Andernacht-Rente ist legendär. Besonderen Vertrauenspersonen von ihm erklärte er auf seine unnachahmliche Art auf Anfrage, wie man "Fischjer ohne Wermscher" fängt. Dass man ihm diese Frage ständig gestellt hat, erklärt sich von selbst. Als Paule einmal unzufrieden mit einer bestimmten Mitarbeiterin der Behörde war, bekam ich folgende Äußerung mit: "Wenn ich "X" höre, mir Gall steigt".

mehr Angst vor Zahnschmerz als vor Bomben

Sie sind eigentlich keine Originale aber doch fielen sie besonders auf. Die Rede ist von den drei Brüdern Anton*, Lars* und Ekkard* S., Söhne eines Schulrats und Brüder meiner Klassenlehrerin.
* Namen von der Redaktion geändert

Nachdem Familie S. das eigene Haus Renzstraße durch Kriegseinwirkung verloren hatte, lebte sie in der Seidenbenderstraße. Soweit es ihnen möglich war, wurden die Söhne mit kleinen Aufgaben betraut. So trug der Sohn L. die Briefe zur Hauptpost am Bahnhof. Eine besondere Faszination übten Dampflokomotiven auf ihn aus und so konnte man ihn öfter auf der Brundhildenbrücke im Dampf der unter ihm fahrenden Loks stehen sehen. Eine Marotte hatte L. außerdem: Auf seinem Weg zur Post durch die Liebenauerstraße klappte er alle Kellerläden auf den linken Straßeseite zu und auf dem Heimweg alle auf der rechten Straßenseite.

Meine Klassenlehrerin erzählte uns ein besonderes Erlebnis mit ihrem Bruder L.
Am Tag des Bombenangriffs, bei dem das Haus zerstört wurde, lag L. in seinem Mansardenzimmer jammernd auf seinem Bett: "Ich habe solche Zahnschmerzen!" Er war bei dem Fliegeralarm nicht zu bewegen, zusammen mit der Familie den Luftschutzkeller aufzusuchen. Als die Bomben das Haus in einen Schutthaufen verwandelt hatten, wollte die Familie den Tod von L. betrauern.

Man war allerdings mehr als überrascht, als man unter den Trümmern das Jammern hörte: "Ich habe solche Zahnschmerzen!" Man fand L. in seinem Bett liegend an. Durch Dachbalken geschützt war er mit seinem Bett aus dem Dachgeschoß gestürzt und konnte fast unverletzt aus den Trümmern geboren werden.

Erinnerungen von Manfred Baumann, Februar 2013

Hierzu ergänzte Elke Schilling-Laubmeister:

"Nicht nur dieser "Glückspilz" der Familie S. konnte nach dem Bombenangriff unversehrt geborgen werden, sondern auch ein Ölgemälde meines Vaters, des Wormser Künstlers Friedrich Laubmeister, welches zusammen mit dem Sohn der Familie von zuoberst durch das ganze Haus in die Tiefe gestürzt war und beide zuunterst auf wundersame Weise unversehrt aus den Trümmern geborgen werden konnten. Diese Geschichte wurde mir sehr oft von meiner Familie, schon wegen des Ölgemäldes meines Vaters, erzählt."

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